Anm. zu BAG: Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer i.S.d. BUrlG
Bundesurlaubsgesetz
Das BAG hat mit Urteil v. 25.7.2023 (9 AZR 43/22) entschieden, dass der Fremdgeschäftsführer einer GmbH Arbeitnehmer i.S.d. BUrlG sein kann (Entscheidungszusammenfassung mit Praxishinweisen der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB).
Sachverhalt:
Die Klägerin war seit 1.7.1993 als Arbeitnehmerin einer Gesellschaft beschäftigt, die der Unternehmensgruppe der Beklagten angehörte. Ab 19.4.2012 war sie als Geschäftsführerin der Beklagten angestellt. Seit 2018 wurde sie in einer Geschäftsstelle der Gesellschaft eingesetzt, bei der sie zuvor als Arbeitnehmerin beschäftigt gewesen war. Einzuhalten war eine tägliche Arbeitszeit von 7 Uhr bis 18 Uhr. Vormittags war sie verpflichtet, eine Kaltakquise durchführen, am Nachmittag hatte sie in eigener Initiative Leistungen anzubieten und wurde im Außendienst, zu Kundenbesuchen und mit Kontroll- und Überwachungsaufgaben eingesetzt. Sie musste wöchentlich 40 Telefonate und 20 Besuche nachweisen. Außerdem führte sie Vorstellungsgespräche und Einstellungsverhandlungen. Der Dienstvertrag sah ab einer sechsjährigen Betriebszugehörigkeit einen Jahresurlaub von 33 Tagen vor, der bei der Gesellschaft zu beantragen war. Im Jahr 2019 nahm die Klägerin elf Tage und im Jahr 2020 keinen Urlaub in Anspruch. Am 5.9.2019 legte die Klägerin ihr Amt als Geschäftsführerin nieder, woraufhin Sie am 17.9.2019 aus dem Handelsregister als Geschäftsführerin ausgetragen wurde. Das Vertragsverhältnis der Parteien endete durch Kündigung der Klägerin vom 25.10.2019 zum 30.6.2020.
Die Beklagte hat die Klägerin vor dem Amtsgericht auf Rückzahlung von Tantieme in Anspruch genommen. Eine von der Klägerin erhobene Widerklage auf Entgeltfortzahlung ist vom Amtsgericht mit rechtskräftigem Beschluss abgetrennt und an das Arbeitsgericht verwiesen worden. Dort hat die Klägerin die abgetrennte Klage um den Urlaubsabgeltungsanspruch erweitert.
Die Vorinstanzen haben den Anspruch auf Urlaubsabgeltung zugesprochen, dabei auch die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen bejaht. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts wurde zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen war nicht nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG ausgeschlossen, weil die Klägerin gesetzliche Vertreterin der Beklagten gewesen wäre. Im Zeitpunkt der Klage war sie nämlich nicht mehr Geschäftsführerin, da sie ihr Amt zuvor niedergelegt hatte. Ob sie Arbeitnehmerin i.S.d. deutschen Arbeitnehmerbegriffs war, der im Arbeitsgerichtsgesetz maßgeblich ist, konnte offengelassen werden. Die Klägerin hatte nämlich zunächst vor dem Amtsgericht einen Anspruch geltend gemacht (Entgeltfortzahlung), der materiellrechtlich nur bestehen konnten, wenn sie Arbeitnehmerin war. Da die Klage insoweit rkr. an die Arbeitsgerichtsbarkeit verwiesen worden war, lag in der Klageerweiterung um den Urlaubsabgeltungsanspruch eine sogenannte »Zusammenhangsstreitigkeit« vor, die nach § 2 Abs. 3 ArbGG jedem Fall vor die Gerichte für Arbeitssachen gebracht werden konnte.
Der Urlaubsabgeltungsanspruch ergab sich aus § 7 Abs. 4 BUrlG. Nach § 1 BUrlG hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Durch das Bundesurlaubsgesetz werden die Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG umgesetzt. Deshalb sind die nationalen Gerichte gehalten, das Bundesurlaubsgesetz so weit wie möglich richtlinienkonform auszulegen. Konkret bedeutet dies, dass für das Bundesurlaubsgesetz der europarechtliche Arbeitnehmerbegriff heranzuziehen ist.
Danach ist Arbeitnehmer, wer während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs ist es nicht ausgeschlossen, dass das Mitglied eines Leitungsorgans einer Kapitalgesellschaft Arbeitnehmer i.S.d. Unionsrechts ist. Die Eigenschaft als „Arbeitnehmer“ i.S.d. Unionsrechts hängt von den Bedingungen ab, unter denen das Mitglied des Leitungsorgans bestellt wurde, der Art der ihm übertragenen Aufgaben, dem Rahmen, in dem diese Aufgaben ausgeführt werden, dem Umfang der Befugnisse des Mitglieds und der Kontrolle, der es innerhalb der Gesellschaft unterliegt, sowie der Umstände, unter denen es abberufen werden kann.
Nach Anwendung dieser Kriterien auf den konkret vorliegenden Sachverhalt war die Klägerin als Fremdgeschäftsführern Arbeitnehmerin im unionsrechtlichen Sinne.
Hinweis für die Praxis:
Die Beschäftigungsbedingungen der »Geschäftsführerin« waren im vorliegenden Sachverhalt sicherlich besonders. Unabhängig davon ist jedoch jeder Fremdgeschäftsführer einer GmbH, dem nicht durch Satzung oder Dienstvertrag besondere Unabhängigkeit zukommt, an die Gesellschafterbeschlüsse der von ihm vertretenen GmbH gebunden. Deshalb ist er – so auch die sozialrechtliche Wertung – abhängig beschäftigt.
Dieser Umstand muss konsequenterweise dazu führen, dass in allen Regelungsbereichen, in denen der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff anzuwenden ist, auch der GmbH-Fremdgeschäftsführer dem Anwendungsbereich der Regelungen unterfällt. Geklärt ist dies in diesem Sinne bereits für die Mutterschutzrichtlinie, die Massenentlassungsrichtlinie und nunmehr auch für die Mindesturlaubsrichtlinie. Abzuwarten bleibt, ob und welche weiteren Bereiche, in denen nationales Recht europarechtliche Richtlinien umgesetzt hat, unter Anwendung des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs auch auf den GmbH-Geschäftsführer angewandt werden; kann dies beispielsweise auch für die Arbeitszeitrichtlinie und damit das deutsche Arbeitszeitgesetz gelten? Es bleibt spannend!
Autor: Rechtsanwalt Dr. Christoph Fingerle, Friedrich Graf von Westphalen, Freiburg
Quelle: BAG, Urteil v. 25.7.2023 (9 AZR 43/22 )