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Anm. zu LAG Hessen: Maßregelungsverbot des § 612a BGB und Krankmeldung

Kündigungsrecht

Das LAG Hessen hat mit Urteil vom 28.3.2025 (10 SLa 916/24) entschieden, dass eine Kündigung aus Anlass einer Krankmeldung nur dann einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB darstellt, wenn gerade das zulässige Fernbleiben von der Arbeit sanktioniert werden soll (Entscheidungszusammenfassung mit Praxishinweisen der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB).

Sachverhalt:

Die Parteien streiten im Wesentlichen um die Wirksamkeit einer Probezeitkündigung.

Der Kläger war seit dem 1. August 2023 bei der Beklagten als Fahrer tätig, nachdem er von einer spanischen Vermittlungsfirma vermittelt als Berufskraftfahrer zusammen mit drei anderen Arbeitnehmern zu der Beklagten nach Deutschland gekommen ist.

Am 16. Januar 2024 erlitt der Kläger bei der Sperrmüllabfuhr einen Arbeitsunfall, als er bei Eisglätte ausrutschte und sich eine Verletzung zuzog. Er war an diesem Tag ausweislich des Einsatzplanes als Lader für Sperrmüll am Entsorgungsort A auf dem Entsorgungsfahrzeug MTK XX … zusammen mit dem Arbeitnehmer B eingeteilt, und zwar als Lader neben dem Fahrer C. Der zweite Arbeitnehmer neben dem Fahrer ist an diesem Tag nicht erschienen.

Der Kläger reichte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 24. Januar 2024 ein, wobei die Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich bis zum 31. Januar 2024 andauerte.

Mit Schreiben vom 26. Januar 2024 kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis. Zeitgleich kündigte sie die Arbeitsverhältnisse zweier weiterer Arbeitnehmer, die zusammen mit dem Kläger die Arbeit bei ihr aufgenommen hatten.

Nachdem das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage überwiegend abgewiesen hat, blieb die Berufung des Klägers vor dem LAG erfolglos.

Entscheidungsgründe:

Nach Auffassung des LAG Hessen verstoße die Probezeitkündigung nicht gegen § 612a BGB.

Nach § 612a BGB dürfe der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht deshalb bei einer Maßnahme benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt.

Es sei zwar umstritten, ob mit der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein „Recht geltend gemacht wird“, bei richtiger Betrachtung könne jedoch ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot vorliegen, weil der Arbeitnehmer mit der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zugleich sein Recht geltend macht, nicht zur Arbeit erscheinen zu müssen. Eine Kündigung aus Anlass einer Krankmeldung sei aber nur dann eine unzulässige Maßregelung, wenn gerade das zulässige Fernbleiben von der Arbeit sanktioniert werden soll.

Auch wenn vorliegend der Ausspruch der Kündigung zwei Tage nach Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eine zeitliche Koinzidenz darstelle, habe die Beklagte nicht in der Hauptsache gekündigt, um sich ihrer Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung zu entziehen, sondern die Beklagte habe dargelegt, dass sie weder mit dem Kläger noch den beiden anderen spanischen Mitarbeitern zufrieden gewesen sei, unter anderem wegen der unzureichenden Sprachkenntnisse.

Im vorliegenden Fall komme auch kein Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) in Form eines widersprüchlichen Verhaltens in Betracht. Eine Kündigung innerhalb der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG sei grundsätzlich nicht nach § 242 BGB unwirksam, wenn der Arbeitnehmer zuvor einen Arbeitsunfall erlitten hat, an dem den Arbeitgeber ein Mitverschuldensanteil trifft, weil er aus Fahrlässigkeit nicht sämtliche Arbeitsschutzregelungen stringent umgesetzt hat.

Zugunsten des Arbeitnehmers sei zwar zu beachten, dass das Fahrzeug an dem Tag des Arbeitsunfalles nicht in der an sich üblichen Besetzung von einem Fahrer und zwei Packern besetzt gewesen sei, wodurch sich typischerweise die Gefahr eines Arbeitsunfalls erhöht habe, jedoch könne vorliegend der Arbeitgeberin an dem Arbeitsunfall des Klägers nur ein geringes Mitverschulden angelastet werden. Angesichts der winterlichen Verhältnisse habe sich in erster Linie ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht. Ferner habe die Beklagte nicht nur dem Kläger gekündigt, sondern auch zwei weiteren vermittelten Arbeitnehmern, was dafür spreche, dass die Kündigung nicht primär wegen des krankheitsbedingten Fehlens erfolgte, sondern wegen Unzufriedenheit mit der Arbeitsleistung und den Sprachkenntnissen.

Hinweise für die Praxis:

Die Vorschrift des § 612a BGB will verhindern, dass Arbeitnehmer Rechte nicht wahrnehmen, weil sie bei ihrer Inanspruchnahme mit Benachteiligungen rechnen müssen.

Das BAG hat bereits im Jahr 2021 klargestellt, dass eine Kündigung aus Anlass einer Krankmeldung nur dann eine unzulässige Maßregelung im Sinne von § 612 a BGB sei, wenn gerade das zulässige Fernbleiben von der Arbeit sanktioniert werden soll. Wolle der Arbeitgeber dagegen für die Zukunft erwarteten Folgen weiterer Arbeitsunfähigkeit, insbesondere (neuerlichen) Betriebsablaufstörungen, vorbeugen, fehle es an einem unlauteren Motiv für die Kündigung (BAG v. 20.5.2021, 2 AZR 560/20). Hierbei ist zu beachten, dass allein der Umstand, dass die Kündigung im bloßen zeitlichen Zusammenhang mit der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Arbeitnehmer erfolgt, noch nicht die Annahme eines Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot begründet (BAG v. 18.11.2021, 2 AZR 229/21).

Ein Arbeitnehmer hat daher hohe prozessuale Hürden zu überwinden, wenn er eine Kündigung unter Berufung auf einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB angreifen will. Denn der Arbeitnehmer trägt für die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 612a BGB die Darlegungs- und Beweislast, wozu v.a. der Kausalzusammenhang zwischen zulässiger Rechtsausübung und Kündigung gehört.

Autor: Rechtsanwältin Dr. Nadja Schmidt LL.M., Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Köln

Quelle: LAG Hessen, Urteil v. 28.3.2025 (10 SLa 916/24)