BFH zum Besteuerungsrecht nach DBA-Schweiz 1971/2010 in der Freistellungsphase eines Arbeitsverhältnisses
Doppelbesteuerungsabkommen / Einkommensteuer
BFH, Urteil vom 01.08.2024, VI R 23/22
Verfahrensgang: FG Hessen, 9 K 133/21 vom 15.12.2021
Leitsatz:
Während des Zeitraums, in dem ein bis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowohl im Ansässigkeitsstaat Bundesrepublik Deutschland als auch in der Schweizerischen Eidgenossenschaft tätiger Arbeitnehmer unwiderruflich von der Pflicht zur Arbeitsleistung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts freigestellt wird, steht das Besteuerungsrecht für die Einkünfte aus unselbständiger Arbeit nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/2010 ausschließlich dem Ansässigkeitsstaat zu.
Gründe:
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war seit dem Jahr 2011 als Außendienstmitarbeiter bei einem in der Schweizerischen Eidgenossenschaft (Schweiz) ansässigen Unternehmen mit Sitz in ... im Kanton ... beschäftigt. Er verfügte seit Beginn dieser Tätigkeit stets nur über einen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland).
Laut Arbeitsvertrag standen dem Kläger 25 Urlaubstage --bei unterjährigem Austritt anteilig-- pro Kalenderjahr zu.
Mit Schreiben vom 26.04.2016 kündigte der Schweizer Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 31.10.2016 und stellte ihn unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts mit sofortiger Wirkung unwiderruflich von seiner Arbeitsverpflichtung frei; ein im Arbeitsvertrag ursprünglich vereinbartes Konkurrenzverbot wurde für hinfällig erklärt.
Im Streitjahr (2016) erhielt der Kläger noch einen (Brutto-)Lohn in Höhe von insgesamt 131.895 CHF. Darin enthalten war eine Abfindung in Höhe von 30.148,25 CHF. Bis zum Tag der Freistellung (27.04.2016) verbrachte der Kläger im Streitjahr elf Arbeitstage in der Schweiz und 52 Arbeitstage in Deutschland; der Rest entfiel auf Wochenenden sowie Urlaubs-, Krankheits- und gesetzliche Feiertage. In diesem Zeitraum kehrte der Kläger außerdem an 22 Arbeitstagen aufgrund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz zurück.
In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr, mit der er Einzelveranlagung beantragte, machte der Kläger steuerfreien Arbeitslohn nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11.08.1971 (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 27.10.2010 (BGBl II 2011, 1092, BStBl I 2012, 513 --DBA-Schweiz--) in Höhe von 98.525 € geltend. Dieser Betrag ergab sich aus dem von ihm erklärten Bruttoarbeitslohn in Höhe von umgerechnet 106.835 € und dem darauf angewendeten Verhältnis von angeblich 166 Arbeitstagen, für welche der Schweiz das Besteuerungsrecht zustehe, zu insgesamt 180 tatsächlichen Arbeitstagen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt --FA--) folgte dem nicht, sondern nahm vielmehr an, dass der während des Zeitraums der Freistellung bezogene Arbeitslohn dem deutschen Besteuerungsrecht unterliege. Das FA teilte den Bruttoarbeitslohn in Höhe von umgerechnet 121.193 € unter Berücksichtigung von nur elf in der Schweiz verbrachten Arbeitstagen auf in einen Betrag in Höhe von 11.447 €, der unter Progressionsvorbehalt von der deutschen Steuer freizustellen sei, und in einen Betrag in Höhe von 109.746 €, der vollständig der deutschen Einkommensteuer unterliege.
Im Einspruchsverfahren akzeptierte der Kläger zunächst die vom FA vorgenommene Aufteilung und begehrte nur die Berücksichtigung der in der Schweiz gezahlten Altersvorsorgebeiträge und der dort vom Lohn einbehaltenen Quellensteuer sowie die Anwendung der Fünftelregelung im Hinblick auf die erhaltene Abfindung. Im Übrigen beantragte er die Zusammenveranlagung mit der Klägerin und Revisionsklägerin.
Im weiteren Verlauf gelangte der Kläger jedoch zu der Auffassung, dass der auf die Freistellungsphase entfallende Lohn nur in der Schweiz besteuert werden könne. Den Antrag auf Zusammenveranlagung hielt er nur für den Fall aufrecht, dass das FA bei seiner Auffassung bleibe.
Mit der Einspruchsentscheidung hob das FA den Einkommensteuerbescheid auf und nahm eine Zusammenveranlagung vor. Dabei berücksichtigte es die Schweizer Altersvorsorgebeiträge als Sonderausgaben. Es blieb jedoch bei seiner Ansicht, dass der während der Freistellungsphase zugeflossene Lohn nur dem deutschen Besteuerungsrecht unterliege und dementsprechend auch eine Anrechnung der Schweizer Steuer ausscheide. Im Übrigen wandte das FA auch nicht die Fünftelregelung auf die Abfindung an.
Hiergegen erhoben die Kläger Klage. Im Laufe des Klageverfahrens einigten sich die Beteiligten unter anderem auf einen Umrechnungskurs und einen rechnerischen Tageslohn. Zudem verständigten sie sich dahin, dass der Kläger bis zu seiner Freistellung unter Berücksichtigung von jeweils sechs Urlaubs- und Krankheitstagen effektiv 63 Tage gearbeitet habe, wovon 52 Tage auf eine Tätigkeit in Deutschland und elf Tage auf eine Tätigkeit in der Schweiz entfallen seien und ihm für den gesamten Zeitraum anteiliger Urlaub von insgesamt 21 Tagen zugestanden habe (25 Urlaubstage x 10/12).
Hinsichtlich der Abfindung in Höhe von 30.148,25 CHF kamen die Beteiligten überein, dass der Betrag gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 und 3 der Deutsch-Schweizerischen Konsultationsvereinbarungsverordnung vom 20.12.2010 (BGBl I 2010, 2187, BStBl I 2010, 146) nach den Orten aufzuteilen sei, von denen der Kläger seine Tätigkeit seit Beginn ausgeübt habe. Demnach ergab sich eine Besteuerung in Deutschland in Höhe von umgerechnet 20.100,36 € und eine Freistellung unter Anwendung des Progressionsvorbehalts in Höhe von umgerechnet 7.518,45 €. Die Beteiligten vertraten übereinstimmend die Auffassung, die Abfindungsleistung sei unter Anwendung der Fünftelregelung des § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu versteuern.
Dementsprechend erließ das FA am 09.08.2021 einen Änderungsbescheid, in dem es zusätzlich noch einen weiteren Teil des Arbeitslohns, der unter anderem auf die im Streitjahr nicht mehr in Anspruch genommenen Urlaubstage entfiel, unter Anwendung des Progressionsvorbehalts von der Besteuerung freistellte. Insgesamt stellte das FA vom laufenden Arbeitslohn 8.543 € steuerfrei.
Bezüglich der noch offenen Streitpunkte (Freistellung der gesamten Lohnzahlung für die Freistellungsphase und der gesamten Abfindung von der deutschen Besteuerung) wies das Finanzgericht (FG) die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 566 veröffentlichten Gründen ab.
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragen,
den Gerichtsbescheid des Hessischen Finanzgerichts vom 15.12.2021 - 9 K 133/21 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid vom 09.08.2021 dahingehend zu ändern, dass von den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit weitere 57.250,67 € unter Anwendung des Progressionsvorbehalts von der deutschen Einkommensteuer freigestellt werden.
Für den Fall der Freistellung beantragen sie,
die Aufhebung der Zusammenveranlagung und die Einzelveranlagung des Klägers.
Hilfsweise beantragen sie noch,
bei der Berechnung der Steuer nach § 34 Abs. 1 EStG statt 20.100 € den Betrag von 27.618,81 € anzusetzen.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Dem Kläger steht nach dem DBA-Schweiz keine über die bereits vom FA gewährte Steuerfreistellung für die laufende Lohnzahlung in Höhe von 8.543 € (dazu unter 2.) und für die anteilige Abfindung in Höhe von 7.518,45 € (dazu unter 3.) hinausgehende Steuerfreistellung hinsichtlich seiner Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu.
1. Der Kläger war im Streitjahr aufgrund seines inländischen Wohnsitzes in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG). Er unterfiel daher mit seinen (Welt-)Einkünften --hier auch den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit aus der Schweiz-- in Deutschland der Steuerpflicht.
2. Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1d DBA-Schweiz waren die Einkünfte des Klägers, die dieser während der Freistellungsphase bezogen hatte, überhaupt nicht (dazu unter 2.b bb (1)) und die Einkünfte, die er für die aktive Tätigkeit bezogen hatte, nur soweit von der Besteuerung in Deutschland unter Anwendung des Progressionsvorbehalts freizustellen, als sie auf die in der Schweiz ausgeübte Tätigkeit --hier elf Tage-- entfielen (dazu 2.b bb (2)).
a) Der unbeschränkt steuerpflichtige Kläger war im Sinne des Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz in Deutschland ansässig.
b) Vorbehaltlich der Art. 15a bis 19 DBA-Schweiz können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person für eine in dem anderen Vertragsstaat ausgeübte unselbständige Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, dass die Arbeit in dem anderen Vertragsstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen in dem anderen Staat besteuert werden (Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz).
aa) Art. 15a DBA-Schweiz ist im Streitfall nicht anwendbar, da der Kläger im Streitjahr kein Grenzgänger war.
Grenzgänger ist nach Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt. Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, entfällt die Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn die Person bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt.
(1) Hinsichtlich der Freistellungsphase ist der Kläger bereits deshalb kein Grenzgänger im Sinne des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz, weil er in diesem Zeitraum nicht mehr regelmäßig an seinen inländischen Wohnsitz zurückgekehrt ist (Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz).
(2) Für die Zeit bis zum Beginn der Freistellung (27.04.2016) entfällt die Grenzgängereigenschaft des Klägers nach Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz, weil er im Streitjahr nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) in diesem Zeitraum an 22 Arbeitstagen aufgrund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz zurückkehrte.
Da die Grenze von 60 Nichtrückkehrtagen im Kalenderjahr aufgrund des verkürzten Tätigkeitszeitraums im Streitjahr neu zu berechnen ist (Ziffer II.3. des Verhandlungsprotokolls zum Änderungsprotokoll vom 21.12.1992 vom 18.12.1991 zum DBA-Schweiz, BGBl II 1993, 1889) ist anstelle von 60 Tagen die Zahl von 18 Nichtrückkehrtagen maßgeblich. Da der Kläger an 22 Tagen aufgrund der Arbeitsausübung nicht an seinen inländischen Wohnsitz zurückkehrte, ist diese Grenze im Streitjahr überschritten, so dass die Grenzgängereigenschaft entfällt.
Entsprechend ist für den gesamten im Streitjahr bezogenen Arbeitslohn Art. 15 DBA-Schweiz anzuwenden. Die Schweiz hat danach nur das Besteuerungsrecht, soweit die Tätigkeit in der Schweiz ausgeübt wurde (Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz).
bb) Im Streitfall hat der Kläger seine Arbeit nur teilweise im Sinne des Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz in der Schweiz ausgeübt.
(1) Während der Freistellungsphase hat der Kläger seine Arbeit nicht im Sinne des Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz in der Schweiz ausgeübt.
Ab dem 27.04.2016 war der Kläger mit sofortiger Wirkung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts von der Verpflichtung zur Arbeit freigestellt. Die Freistellung beseitigt die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsvertrag und den Anspruch des Arbeitnehmers, Beschäftigung zu verlangen. Eine Vielzahl von Rechten und Pflichten bleibt jedoch bestehen, zum Beispiel das Recht des Arbeitnehmers auf Lohnfortzahlung und Sozialleistungen. Zahlungen, die bei Freistellung von der Arbeit geleistet werden, sind daher keine Abfindungen wegen der Auflösung eines Dienstverhältnisses, sondern Leistungen in Erfüllung eines modifizierten Dienstverhältnisses (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27.04.1994 - XI R 41/93, BFHE 174, 352, BStBl II 1994, 653).
Aufgrund der Freistellung von der Arbeit war der Kläger ab dem Zeitpunkt der Kündigung nicht mehr aktiv in der Schweiz tätig.
Eine Arbeitsausübung im Sinne des Art. 15 DBA-Schweiz liegt auch nicht aufgrund der Erfüllung einer anderen Verpflichtung gegenüber seinem Schweizer Arbeitgeber vor.
Da der Kläger von der Arbeitspflicht unwiderruflich freigestellt war, musste er sich während der Freistellungsphase nicht in irgendeiner Weise für seinen Schweizer Arbeitgeber zur Verfügung halten (vgl. BFH-Urteil vom 09.09.1970 - I R 19/69, BFHE 100, 194, BStBl II 1970, 867).
Das aus der Freistellung folgende bloße Erlöschen des Rechts eines Arbeitnehmers, Beschäftigung zu verlangen, stellt auch keine in einer Unterlassung liegende vertragliche Verpflichtung dar, die dort bewirkt würde, wo anderenfalls die zu unterlassende Handlung vorgenommen würde (vgl. BFH-Urteil vom 09.09.1970 - I R 19/69, BFHE 100, 194, BStBl II 1970, 867). Denn der Arbeitnehmer wird im Falle der Freistellung nicht für das "Nichtstun" an einem bestimmten Ort --dem Arbeitsplatz beziehungsweise -ort-- bezahlt. Vielmehr kann der Arbeitnehmer seinen Pflichten aus dem in der Freistellungsphase noch bestehenden modifizierten Arbeitsverhältnis an jedem beliebigen Ort nachkommen. Insoweit besteht keine unmittelbare Beziehung zwischen der "Nichtbeschäftigung" des Klägers und der Schweiz als Arbeitsort.
Auch hatte der Kläger keine Karenzpflicht zu erfüllen (vgl. BFH-Urteil vom 09.11.1977 - I R 254/75, BFHE 124, 35, BStBl II 1978, 195). Die Zahlungen während der Freistellungsphase waren nicht Entgelt für die Einhaltung einer Karenzpflicht, sondern wurden in Erfüllung eines modifizierten Dienstverhältnisses geleistet (s. BFH-Urteil vom 27.04.1994 - XI R 41/93, BFHE 174, 352, BStBl II 1994, 653).
Die Kläger können sich zudem nicht mit Erfolg auf das BFH-Urteil vom 12.01.2011 - I R 49/10 (BFHE 232, 436, BStBl II 2011, 446) berufen. Denn der Bezug der Vergütung während der Freistellungsphase der Altersteilzeit stellt sich als Entlohnung für die bereits geleistete Arbeit in der aktiven Phase dar. Die Vergütung ist damit bereits durch die vorangegangene aktive Tätigkeit verdient worden und kommt lediglich zeitversetzt zur Auszahlung. Im Streitfall hingegen erhielt der Kläger die laufenden Bezüge während der Freistellungsphase nicht, weil er sich diese Vergütungen bereits während der Phase der aktiven Tätigkeit verdient hatte. Vielmehr waren die Zahlungen Folge der verbliebenen Laufzeit des durch Kündigung und Freistellung modifizierten Dienstverhältnisses (so im Ergebnis auch Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 12.12.2023, BStBl I 2023, 2179, Rz 362).
Soweit sich die Kläger auf Prokisch in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., Art. 15 Rz 71 berufen, ist bereits zweifelhaft, ob mit den dortigen Ausführungen überhaupt Sachverhalte wie der vorliegende gemeint sind. Denn der Kläger musste sich im Streitfall --wie bereits ausgeführt-- weder "zur Verfügung halten" noch wurde er für ein "Nichtstun" bezahlt.
Der Kläger ist damit in der Freistellungsphase weder aktiv in der Schweiz tätig geworden, noch kann er nach den für sogenannte passive Tätigkeiten entwickelten Grundsätzen so behandelt werden, als habe er seine Tätigkeit in der Schweiz ausgeübt. Deswegen verbleibt es bei der Grundregel des Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz, wonach alleine Deutschland als Ansässigkeitsstaat das Besteuerungsrecht für die Zahlungen in der Freistellungsphase zusteht (so auch FG Baden Württemberg, Urteil vom 12.09.2012 - 3 K 632/10, juris; FG Köln, Urteil vom 25.02.2014 - 8 K 2555/11).
(2) In der Phase der aktiven Tätigkeit bis zum 27.04.2016 hatte der Kläger seine Tätigkeit nach der übereinstimmenden Verständigung der Beteiligten nur an elf Tagen in der Schweiz ausgeübt.
c) Demnach kann nur das Arbeitsentgelt für die aktive Tätigkeit in Höhe von 5.396,38 € (11 Tage x 490,58 €) in der Schweiz besteuert werden und ist daher gemäß Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1d und Satz 2 DBA-Schweiz unter Progressionsvorbehalt von der Besteuerung freizustellen.
aa) Nach der Rechtsprechung des I. Senats des BFH (vgl. BFH-Urteil vom 29.01.1986 - I R 22/85, BFHE 146, 132, BStBl II 1986, 479), der sich der erkennende Senat anschließt, ist Grundlage der Berechnung der nicht der inländischen Besteuerung unterliegenden Einkünfte die Zahl der vertraglich vereinbarten Arbeitstage im Kalenderjahr abzüglich der Urlaubstage und der anderen arbeitsfreien Tage (arbeitsfreie Samstage, Sonntage und gesetzliche Feiertage). Diesen Arbeitstagen ist das für diese Zeit vereinbarte Arbeitsentgelt --hier der gesamte im Streitjahr gezahlte Lohn ohne die Abfindung-- gegenüberzustellen und sodann das auf den einzelnen Arbeitstag entfallende Arbeitsentgelt zu ermitteln.
bb) Aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.10.2016 sind im Streitfall danach 190 Arbeitstage (305 Kalendertage abzüglich von 21 anteiligen Urlaubstagen, 44 Samstagen, 44 Sonntagen und sechs Feiertagen) anzusetzen. Ausgehend von dem dafür vereinbarten Arbeitsentgelt (ohne Abfindung) in Höhe von 93.210,20 € (101.746,75 CHF) ergibt sich ein Arbeitsentgelt pro Arbeitstag in Höhe von 490,58 €.
d) Tatsächlich hat das FA von diesen Einkünften 8.543 € freigestellt. Eine Änderung zu Ungunsten der Kläger kommt wegen des finanzgerichtlichen Verböserungsverbots (Verbot der reformatio in peius) nicht in Betracht (z.B. Senatsurteil vom 18.11.2020 - VI R 17/18, Rz 18, m.w.N.).
3. Die Abfindung ist nicht (auch nicht anteilig) von der Besteuerung in Deutschland freizustellen. Wie das FG in der Vorentscheidung zutreffend ausgeführt hat, unterliegt die Abfindung in voller Höhe von umgerechnet 27.618,81 € der inländischen Besteuerung.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des I. Senats des BFH, der sich der erkennende Senat ebenfalls anschließt, sind Abfindungen anlässlich der Beendigung des Dienstverhältnisses nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz nicht im Tätigkeitsstaat, sondern ausschließlich im Ansässigkeitsstaat zu besteuern (vgl. BFH-Urteile vom 02.09.2009 - I R 111/08, BFHE 226, 276, BStBl II 2010, 387; I R 90/08, BFHE 226, 267, BStBl II 2010, 394; vom 24.07.2013 - I R 8/13, BFHE 245, 291, BStBl II 2014, 929; vom 10.06.2015 - I R 79/13, BFHE 250, 110, BStBl II 2016, 326). Denn sie werden nicht für eine konkrete im In- oder Ausland ausgeübte Tätigkeit gezahlt, sondern für den Verlust des Arbeitsplatzes. Ein solcher bloßer Anlasszusammenhang zwischen Zahlung und Tätigkeit genügt nach dem Abkommenswortlaut ("dafür") indes nicht.
b) Daran vermag auch die im Streitjahr bereits in Kraft getretene Konsultationsvereinbarung vom 17.03.2010, bekanntgegeben durch das BMF-Schreiben vom 25.03.2010 (BStBl I 2010, 268), nichts zu ändern.
aa) Nach dieser Bestimmung hat der (frühere) Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht, sofern es sich bei der Abfindung um Lohn- oder Gehaltsnachzahlungen oder Tantiemen aus einem früheren Arbeitsverhältnis handelt. Wird die Abfindung allgemein für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Dienst gewährt und war der Arbeitnehmer auch teilweise im Ansässigkeitsstaat tätig, ist die Abfindung zeitanteilig aufzuteilen.
Der Senat misst einer derartigen zwischenstaatlichen Konsultationsvereinbarung --in Einklang mit den Grundsätzen zur Auslegung von Verträgen nach Art. 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23.05.1969 (BGBl II 1985, 927), in innerstaatliches Recht transformiert seit Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes vom 03.08.1985 (BGBl II 1985, 926) am 20.08.1987 (BGBl II 1987, 757)-- zwar Bedeutung für die Auslegung der Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei. "Grenzmarke" für das richtige Abkommensverständnis ist jedoch der Abkommenswortlaut. Wird das in der Konsultationsvereinbarung gefundene Abkommensverständnis durch den Wortlaut nicht gedeckt, kann die Vereinbarung die Abkommensauslegung durch die Gerichte nicht beeinflussen oder die Gerichte gar binden (BFH-Urteil vom 10.06.2015 - I R 79/13, BFHE 250, 110, BStBl II 2016, 326).
bb) Zwar haben sich die Vereinbarungsgrundlagen mittlerweile dahingehend geändert, dass der Gesetzgeber mit dem Jahressteuergesetz 2010 (BGBl I 2010, 1768) mit § 2 Abs. 2 der Abgabenordnung eine Ermächtigungsgrundlage geschaffen hat, wonach --so Satz 1 der Vorschrift-- das BMF ermächtigt wird, zur Sicherung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung oder doppelten Nichtbesteuerung mit Zustimmung des Bundesrates Rechtsverordnungen zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen zu erlassen. Konsultationsvereinbarungen in diesem Sinne sind nach Satz 2 der Vorschrift einvernehmliche Vereinbarungen der zuständigen Behörden der Vertragsstaaten eines Doppelbesteuerungsabkommens mit dem Ziel, Einzelheiten der Durchführung eines solchen Abkommens zu regeln, insbesondere Schwierigkeiten oder Zweifel, die bei der Auslegung oder Anwendung des jeweiligen Abkommens bestehen, zu beseitigen.
Doch ist es auch vermittels einer derart gefassten Ermächtigungsregelung ausgeschlossen, den Abkommenstext und damit die besagte Besteuerungszuordnung für die betreffenden Einkünfte zu verändern. Der Abkommenstext belässt für die Frage der Besteuerungszuordnung von Abfindungen an ehemals nichtselbständig tätige Arbeitnehmer keine Spielräume (BFH-Urteil vom 10.06.2015 - I R 79/13, BFHE 250, 110, BStBl II 2016, 326). Entsprechend sind die Gerichte --wie auch das FG im Streitfall-- befugt, derartige Vereinbarungen nicht anzuwenden.
c) Die mit Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen vom 20.12.2016 (BGBl I 2016, 3000) diese Rechtsprechung korrigierende Regelung des § 50d Abs. 12 EStG ist erst ab dem 01.01.2017 in Kraft getreten und damit im Streitjahr nicht anwendbar.
4. Die Revision der Kläger hat auch mit dem Hilfsantrag, bei der Berechnung der Einkommensteuer nach § 34 Abs. 1 EStG anstatt 20.100 € den Betrag von 27.618,81 € anzusetzen, keinen Erfolg. Denn unter die tarifbegünstigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 EStG kann, wovon die Kläger ersichtlich selber ausgehen, nur die Abfindung fallen. Das FA hat im streitgegenständlichen Änderungsbescheid vom 09.08.2021 die Abfindung --zu Unrecht-- nur in Höhe von 20.100 € der Besteuerung unterworfen und im Übrigen unter Anwendung des Progressionsvorbehalts von der Besteuerung freigestellt. Es hat daher konsequent die Tarifbegünstigung auch nur in Höhe des der deutschen Besteuerung unterworfenen Anteils der Abfindung (20.100 €) gewährt. Eine weitere Tarifbegünstigung kommt nicht in Betracht. Ebenso wenig ist allerdings wegen des finanzgerichtlichen Verböserungsverbots (Verbot der reformatio in peius) die Steuerfestsetzung zu Ungunsten der Kläger zu ändern (z.B. Senatsurteil vom 18.11.2020 - VI R 17/18, Rz 18, m.w.N.).
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.