Anm. zu BAG: Tarifvertragliche Inflationsausgleichsprämie – Ausschluss von Arbeitnehmern in Passivphase der Altersteilzeit unwirksam

Teilzeit- und Befristungsgesetz

Das BAG hat mit Urteil vom 12.11.2024 (9 AZR 71/24) entschieden, dass der im Tarifvertrag für energie- und wasserwirtschaftliche Unternehmungen geregelte Ausschluss von Arbeitnehmern, die sich in der Passivphase ihrer Altersteilzeit befinden, vom Bezug einer Inflationsausgleichsprämie unwirksam ist (Entscheidungszusammenfassung mit Praxishinweisen der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB).

Sachverhalt:

Der Kläger, Arbeitnehmer eines Unternehmens der Energiewirtschaft, vereinbarte mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten Altersteilzeit im Blockmodell mit Beginn der Passivphase am 1. Mai 2022. Der Arbeitgeberverband energie- und wasserwirtschaftlicher Unternehmungen e.V. einigte sich mit den Gewerkschaften ver.di und IG BCE anlässlich der Tarifrunde 2023 in dem „Tarifvertrag über eine einmalige Sonderzahlung gem. § 3 Nr. 11c Einkommenssteuergesetz“ (TV IAP) auf die Gewährung einer Inflationsausgleichsprämie, die unabhängig vom individuellen Beschäftigungsgrad 3.000,00 Euro beträgt. Es handelt sich nach der Protokollnotiz zum TV IAP um eine Beihilfe bzw. Unterstützung des Arbeitgebers zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise. Von der Zahlung sind gem. § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP ua. Arbeitnehmer ausgeschlossen, die sich am 31. Mai 2023 in der Passivphase der Altersteilzeit oder im Vorruhestand befanden.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Inflationsausgleichsprämie iHv. 3.000,00 Euro. Nach seiner Auffassung stellt der Anspruchsausschluss von Arbeitnehmern in der Passivphase der Altersteilzeit eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen der Teilzeit dar. Die Inflationsausgleichsprämie werde ausschließlich als Leistung zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise gezahlt und verfolge daneben keinen arbeitsleistungsbezogenen Zweck.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen (LAG Düsseldorf v. 5.3.2024, 14 Sa 1148/23). Die Revision des Klägers hatte vor dem Neunten Senats des BAG. Die Beklagte ist zur Zahlung der streitgegenständlichen Prämie verpflichtet.

Entscheidungsgründe:

Nach Auffassung des BAG verstößt der Ausschluss von Arbeitnehmern in der Passivphase der Altersteilzeit gegen das Diskriminierungsverbot des § 4 Abs. 1 TzBfG. Danach darf ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht.

Eine Schlechterstellung von Teilzeitbeschäftigten könne sachlich gerechtfertigt sein, wenn sich ihr Grund aus dem Verhältnis von Leistungszweck und Umfang der Teilzeitarbeit herleiten lässt. In der Bestimmung des Leistungszwecks seien die Tarifvertragsparteien dabei wegen der in Art. 9 Abs. 3 GG verankerten Koalitionsfreiheit weitgehend frei. Mit der Regelung des § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP hätten sie indessen ihre durch § 4 Abs. 1 TzBfG begrenzte Rechtsetzungsbefugnis überschritten. Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern auf Grund der Freistellung in der Altersteilzeit gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten lasse sich aus den erkennbaren Leistungszwecken und dem Umfang der Teilzeitarbeit nicht herleiten. Die Ausgestaltung der Anspruchsvoraussetzungen stehe der Annahme entgegen, dass es sich bei der Inflationsausgleichsprämie auch um eine Gegenleistung für erbrachte Arbeit handelt. Auch in Bezug auf die vergangene Betriebstreue seien keine Aspekte ersichtlich, die die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. Von einer zukünftigen Betriebstreue hätten die Tarifvertragsparteien den Anspruch nicht abhängig gemacht. Unterschiede für einen unterschiedlichen Bedarf auf Grund der gestiegenen Verbraucherpreise zwischen Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten, die sich in der Freistellungsphase der Altersteilzeit befinden, seien nicht erkennbar.

Hinweis für die Praxis:

Die Argumentation des BAG greift auch bei auf anderer Grundlage gewährter Inflationsausgleichsprämie (z.B. individualvertraglich oder mittels Gesamtzusage des Arbeitgebers), weil auch insoweit das Diskriminierungsverbot des § 4 Abs. 1 TzBfG gilt.

Autor: Rechtsanwalt Max Maiorano-Fahr, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg

Quelle: Pressemitteilung des BAG Nr. 29/24 v. 12.11.2024