
Anm. zu LAG Baden-Württemberg: Homeoffice ist kein milderes Mittel gegenüber einer Änderungskündigung, die den Arbeitsort verändert
Kündigungsschutzgesetz
Das LAG Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 4.11.2024 (9 Sa 42/24) festgestellt, dass einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsort mittels einer Änderungskündigung geändert werden soll, nicht stattdessen vorrangig die Arbeit im Homeoffice als milderes Mittel angeboten werden muss (Entscheidungszusammenfassung mit Praxishinweisen der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB).
Sachverhalt:
Im vorliegenden Fall streiten die Parteien über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Änderungskündigung. Der Kläger war seit dem 1.5.2008 als Meister Endmontage Kühlturmbau und Versand bei der Beklagten tätig, zuletzt am Standort R. Aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung beschloss die Beklagte, diesen Standort zu schließen. Den betroffenen Mitarbeitern wurde eine Änderungskündigung ausgesprochen, die eine Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen, jedoch am neuen Standort in D. (ca. 240 km entfernt) vorsah.
Der Kläger nahm die Änderungskündigung unter Vorbehalt an, verlangte jedoch, seine Tätigkeit vollständig aus dem Homeoffice erbringen zu können. Er argumentierte, dass dies technisch und organisatorisch möglich sei und sich aus der bisherigen Praxis ergebe, da er während der Pandemie regelmäßig im Homeoffice gearbeitet habe. Die Beklagte lehnte dies mit Verweis auf ihre unternehmerische Entscheidung und die bestehenden organisatorischen Erfordernisse ab.
Das AG Villingen-Schwenningen wies die Klage ab. Das LAG Baden-Württemberg wies die Berufung des Klägers als unbegründet zurück. In seiner Entscheidung führt es aus, dass dem Kläger kein Anspruch auf eine vollständige Homeoffice-Tätigkeit zustehe und die Kündigung mithin sozial gerechtfertigt sei. Die Revision wurde zugelassen.
Entscheidungsgründe:
Das LAG Baden-Württemberg stellt in seinem Urteil klar, dass die betriebsbedingte Änderungskündigung sozial gerechtfertigt ist, da die unternehmerische Entscheidung zur Standortschließung einen Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes zur Folge hatte. Die Beklagte hatte dem Kläger durch die Änderungskündigung eine Weiterbeschäftigung zu im Wesentlichen unveränderten Bedingungen an einem anderen Standort angeboten. Dies sei als angemessenes und verhältnismäßiges Mittel anzusehen.
Das zentrale Argument des Klägers, dass ihm eine Tätigkeit ausschließlich aus dem Homeoffice als milderes Mittel angeboten hätte werden müssen, um die Änderungskündigung zu vermeiden, lehnte das LAG Baden-Württemberg aus folgenden Gründen ab:
Ausgehend von der arbeitsvertraglichen Regelung zwischen den Parteien bestehe kein Anspruch auf eine Tätigkeit ausschließlich im Homeoffice. Denn der Arbeitsvertrag sah keinen festen Homeoffice-Anteil vor. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass der Kläger in der Vergangenheit teilweise drei bis vier Tage pro Woche im Homeoffice tätig gewesen sei. Denn eine solche Homeoffice-Tätigkeit sei bisher nur auf Grundlage des Weisungsrechts des Arbeitgebers gewährt worden und könne daher jederzeit widerrufen werden.
Das Urteil des LAG Baden-Württemberg würdigt die unternehmerische Entscheidung der Beklagten: Diese habe sich bewusst gegen eine vollständige Homeoffice-Regelung entschieden, insbesondere aufgrund der Notwendigkeit der Koordination mit anderen Abteilungen, der Führung von Mitarbeitern und der fehlenden Digitalisierung von Dokumenten.
Weil die Tätigkeit des Klägers bisher aus einer Mischform aus Büro- und Homeoffice-Tätigkeit bestanden habe, existiere ein Arbeitsplatz ausschließlich im Homeoffice bei der Beklagten gar nicht.
Der Ermessensspielraum des Arbeitgebers bei der Ausübung seines Weisungsrechts sei auch nicht auf null reduziert: Nach § 106 GewO obliege die Bestimmung des Arbeitsortes dem Arbeitgeber. Die unternehmerische Entscheidung sei nicht ermessensfehlerhaft; auch verbleibe die Tätigkeit im Homeoffice nicht als einzig vertretbare Möglichkeit.
Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, einen neuen Arbeitsplatz im Homeoffice zu schaffen, um eine Änderungskündigung zu vermeiden, bestehe nicht. Die unternehmerische Entscheidung über die Organisation der Arbeit, einschließlich der Festlegung des Arbeitsortes, falle in die betriebliche Gestaltungsfreiheit. Ein Anspruch auf Homeoffice bestehe nur in Ausnahmefällen, etwa bei besonderer Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers (z. B. aus gesundheitlichen Gründen), was im zu entscheidenden Fall nicht ersichtlich sei.
Praxishinweis:
Die Entscheidung verdeutlicht, dass ein Arbeitnehmer keinen allgemeinen Anspruch auf Homeoffice hat, selbst wenn er in der Vergangenheit anteilig von zu Hause gearbeitet hat. Arbeitgeber haben das Recht, den Arbeitsort unternehmerisch zu bestimmen und können Homeoffice-Regelungen im Rahmen ihres Weisungsrechts gestalten.
Klar definierte vertragliche Regelungen zu Homeoffice sind empfehlenswert, um Streitigkeiten über den Umfang und die Möglichkeit von Homeoffice-Arbeit zu vermeiden.
Unternehmerische Entscheidungen zur Arbeitsorganisation müssen gut dokumentiert sein, um im Streitfall die Erforderlichkeit bestimmter Arbeitsformen nachvollziehbar begründen zu können.
Betriebsbedingte Änderungskündigungen sollten die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigen, sind aber nicht zwangsläufig unwirksam, wenn Homeoffice als Alternative abgelehnt wird.
Die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg zeigt, dass eine unternehmerische Entscheidung zur Reduzierung oder Abschaffung von Homeoffice-Arbeitsplätzen rechtlich Bestand haben kann, solange sie sachlich begründet ist. Arbeitgeber sollten jedoch prüfen, ob individuelle Vereinbarungen oder soziale Gesichtspunkte eine Ausnahme rechtfertigen könnten.
Autoren: Rechtsanwalt Dr. Christoph Fingerle und Rechtsanwältin Elsa Rein, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg
Quelle: LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 4.11.2024 (9 Sa 42/24).