
Anm. zu LAG Baden-Württemberg: Zustellung auch am Samstag wirksam: Keine Förmelei bei geschlossenem Werkstor
Zivilprozessordnung
Das LAG Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 5.2.2025 (10 Sa 34/24) entschieden, dass eine Ersatzzustellung in den Geschäftsräumen des Adressaten auch dann nicht ausführbar nach § 180 Satz 1 ZPO ist, wenn dem Zusteller bekannt ist, dass bei geschlossenem Werktor niemand arbeitet, dem er das zuzustellende Schriftstück persönlich übergeben kann. Bekundet der Zusteller in diesem Fall in der Zustellungsurkunde, dass er zunächst den Versuch der persönlichen Übergabe des Schriftstücks unternommen hat, obwohl er weder am Werkstor geklingelt noch die Klinke gedrückt hat, widerspricht dies nicht der Wahrheit. Ein derartiges Verhalten vom Zusteller zu verlangen, sei reine Förmelei. Die Zustellung am Samstag erfolge zudem nicht zur Unzeit (Entscheidungszusammenfassung mit Praxishinweisen der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB).
Sachverhalt:
Die Klägerin verlangte vom Arbeitgeber Vergütung für Februar und März 2024. Die Beklagte hatte die Klägerin trotz beantragter Verlängerung der Elternzeit zur Arbeitsaufnahme verpflichtet und später mehrfach krankheitsbedingte Fehlzeiten bezweifelt sowie Kündigungen ausgesprochen. Das Arbeitsgericht sprach der Klägerin Entgeltfortzahlung und Annahmeverzugslohn zu. Das Urteil wurde der nicht anwaltlich vertretenen Beklagten an einem Samstag (20. Juli 2024) in den Briefkasten vor dem von einem Zaun umschlossenen Werkgeländes der Beklagten zugestellt, dessen Tor geschlossen war. Zum Zeitpunkt der Zustellung war bekannt, dass bei geschlossenem Werkstor niemand dort arbeitet. In der Zustellungsurkunde war das Datum des Einwurfs als Zustellungsdatum vermerkt. Außerdem waren die Felder „zu übergeben versucht“ sowie „zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt“ angekreuzt.
Die Beklagte legte am 21. August 2024 Berufung gegen das arbeitsgerichtliche Urteil ein – ausgehend vom notierten Zustellungsdatum einen Tag zu spät. Sie argumentierte, der Zusteller habe das Schriftstück nicht wirksam zugestellt, da er keinen tatsächlichen Versuch einer persönlichen Übergabe unternommen habe.
Entscheidungsgründe:
Das LAG Baden-Württemberg betonte: Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine wirksame Zustellung an einem Samstag. Die Berufung war unzulässig, da verspätet. Die Zustellung war wirksam gem. § 180 ZPO. Eine Ersatzzustellung durch Einwurf in den Briefkasten ist zulässig, wenn eine persönliche Übergabe nach § 178 ZPO nicht möglich ist. Hier war das Werkstor geschlossen, niemand arbeitete im Betrieb, und der Zusteller – mit örtlicher Kenntnis – wusste, dass keine Zustellperson anwesend war.
Dass der Zusteller bekundete, den Versuch der persönlichen Übergabe unternommen zu haben, stellt nach dem LAG Baden-Württemberg keinen Verstoß gegen die Wahrheitspflicht dar.
Es sei keine unwahre Beurkundung, wenn der Zusteller in solchen Fällen den Versuch der persönlichen Übergabe als „nicht ausführbar“ dokumentiert, auch wenn er nicht geklingelt oder an das Tor geklopft hat. Solche Förmlichkeiten seien entbehrlich, wenn feststeht, dass niemand im Betrieb anwesend ist.
Das LAG Baden-Württemberg führt zudem aus: Die Zustellung an einem Samstag ist zulässig und stellt keine „Unzeit“ dar. Ein solcher Wochentag steht einer wirksamen Zustellung nicht entgegen, solange keine Nacht- oder Feiertagszustellung vorliegt. Ein unklarer Zustellzeitpunkt auf Umschlag und tatsächlichem Briefkastenleerungsdatum begründe keine Wiedereinsetzung, wenn der Zugang nicht umgehend geklärt wird. Die Beklagte habe es schuldhaft versäumt, die Frist anhand der vorhandenen Daten richtig zu bestimmen.
Praxishinweis:
Gerichte und Zusteller dürfen bei geschlossenen Geschäftsadressen auf erkennbare Umstände vertrauen. Der Versuch einer persönlichen Zustellung muss nicht mit überflüssigen Handlungen wie Klingeln untermauert werden, wenn die Unerreichbarkeit der Zustellungsperson evident ist. Unternehmen sollten interne Fristkontrollen bei unsicherer Zustelllage sofort klären – ein bloß vermuteter späterer Zugang schützt nicht vor Fristversäumnis. Die Entscheidung stärkt die Rechtssicherheit bei förmlichen Zustellungen unter realistischen Bedingungen des Zustellalltags. Allerdings ist unter dem Az.: 5 AZR 65/25 die Revision beim BAG anhängig. Dies gilt es zu beachten.
Autoren: Rechtsanwälte Dr. Christoph Fingerle und Elsa Rein, Friedrich Graf von Westphalen, Freiburg
Quelle: LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 5.2.2025 (10 Sa 34/24)