BFH: Erfordernis eines Änderungsantrags zur Vermeidung widerstreitender Steuerfestsetzung bei Organschaft auch bei Anfechtung des Steuerbescheides durch die Organgesellschaft

Umsatzsteuer / Abgabenordnung

BFH, Beschluss vom 18.07.2024, V S 6/23 (AdV)
Verfahrensgang: FG Münster, 5 K 232/18 U vom 23.03.2023

Leitsatz:

NV: Sind die Voraussetzungen einer Organschaft im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes mit einer KG als Organgesellschaft aufgrund geänderter Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfüllt, setzt die Aufhebung einer gegenüber der KG ergangenen Steuerfestsetzung voraus, dass der Organträger zur Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens in Bezug auf § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Abgabenordnung einen Antrag auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung stellt. Dies gilt auch im Rechtsbehelfsverfahren der KG gegen die ihr gegenüber ergangene Steuerfestsetzung (Anschluss an BFH-Urteil vom 16.03.2023 - V R 14/21 (V R 45/19), BFHE 280, 89).

Gründe:

I. Unternehmensgegenstand der Klägerin, Revisionsbeklagten und Antragstellerin (Antragstellerin), einer GmbH & Co. KG, ist der Handel sowie das Erwerben, Verwalten und Vermieten von Geräten aller Art. Gesellschafter der Antragstellerin waren im Jahr 2016 (Streitjahr) als Komplementärin die BVB-GmbH, die ab 17.10.2016 als TLVB-GmbH firmierte und als einzige Kommanditistin die JB-GmbH Co. KG (JB-KG).

Alleingesellschafter der BVB-GmbH (TLVB-GmbH) war BS, der neben BJ und MB auch einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer dieser GmbH war.

Mit Vertrag vom 26.02.2016 veräußerten die Kommanditisten der JB-KG ihre Gesellschaftsanteile an die BS-GmbH. Zudem beschloss die Gesellschafterversammlung der JB-KG am 27.02.2016, dass deren Komplementär-GmbH aus der JB-KG austritt, so dass das Vermögen der JB-KG im Wege der Anwachsung auf die BS-GmbH überging. Die Gesellschafterversammlung der BS-GmbH beschloss am 13.10.2016 die Umfirmierung in TL-GmbH. Gesellschafter der BS-GmbH/TL-GmbH waren im Streitjahr BS mit einer Beteiligung am Stammkapital von 90 % sowie BJ und MB mit einer Beteiligung von jeweils 5 %. Einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer der TL-GmbH waren BJ und MB. Im Jahr 2017 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der TL-GmbH eröffnet.

Aufgrund eines Vertrages vom 12.06.2016 erwarb die Antragstellerin von der BS-GmbH, der späteren TL-GmbH, Fahrzeuge zu einem Gesamtkaufpreis in Höhe von 4.061.720,31 € zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von 771.726,86 €, zahlbar in 28 gleichen jährlichen Raten. Hierüber erteilte die BS-GmbH der Antragstellerin eine Rechnung vom 13.06.2016, die Umsatzsteuer in Höhe von 771.726,86 € auswies.

In ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldung für das zweite Kalendervierteljahr 2016 erklärte die Antragstellerin Umsätze aus dem Verkauf von zwei Fahrzeugen und machte als Vorsteuer nur den in der Rechnung vom 12.06.2016 ausgewiesenen Vorsteuerbetrag geltend, was zu einem Überschuss zu ihren Gunsten führte. Im Anschluss an eine Umsatzsteuersonderprüfung erließ der Beklagte, Revisionskläger und Antragsgegner (Finanzamt --FA--) einen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für das zweite Kalendervierteljahr 2016, in dem er die Umsatzsteuer auf 16.150 € festsetzte. Den geltend gemachten Vorsteuerabzug erkannte das FA nicht an, weil das zugrunde liegende Rechtsgeschäft rechtsmissbräuchlich zustande gekommen sei. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 23.01.2017 als unbegründet zurück.

Mit dem Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2016 vom 06.10.2017 schätzte das FA die Bemessungsgrundlage für regelbesteuerte Umsätze der Antragstellerin auf 450.000 € und setzte demgemäß Umsatzsteuer in Höhe von 85.500 € fest. Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin Einspruch ein und gab zugleich eine Jahressteuererklärung ab, in der sie Umsätze in Höhe von 636.450 € zum Regelsteuersatz erklärte und einen Vorsteuerbetrag in Höhe von 771.726,86 € geltend machte, was --bei einer Vorauszahlung in Höhe von 2,40 €-- zu einem verbleibenden Überschuss in Höhe von 650.803,76 € führte. Der Einspruch gegen den Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2016 blieb ebenso erfolglos wie der gleichzeitig gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV), den das Finanzgericht (FG) mit Beschluss vom 02.01.2018 ablehnte, weil die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht habe, dass die Fahrzeuge an sie geliefert worden seien.

Während des gegen den Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2016 gerichteten Klageverfahrens lud das FG den Insolvenzverwalter der TL-GmbH zu dem Verfahren bei. Nachdem der Insolvenzverwalter der TL-GmbH die Rechnung vom 13.06.2016 storniert hatte, machte die Antragstellerin unter Bezugnahme auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union Finanzamt für Körperschaften Berlin vom 15.04.2021 - C-868/19, EU:C:2021:285 geltend, der Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2016 sei ersatzlos aufzuheben, da zwischen ihr als Organgesellschaft und der TL-GmbH als Organträgerin im Streitjahr eine Organschaft bestanden habe.

Mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2023, 873 veröffentlichten Urteil gab das FG der Klage statt und hob den Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2016 auf, da die Antragstellerin Organgesellschaft der TL-GmbH als Organträgerin gewesen sei. Die Antragstellerin sei wirtschaftlich in die TL-GmbH eingegliedert gewesen, da sie im Streitjahr "im Rahmen des Handels mit den Fahrzeugen / der Veräußerung der Fahrzeuge" eingebunden gewesen und damit im Rahmen des "Gesamtunternehmens" in einem engen wirtschaftlichen Zusammenhang mit der TL-GmbH wirtschaftlich tätig geworden sei. Auch die Voraussetzungen der finanziellen und organisatorischen Eingliederung lägen vor. Gegen das FG-Urteil wendet sich das FA mit seiner Revision (V R 5/23), über die noch nicht entschieden ist.

Während des Revisionsverfahrens beantragte die Antragstellerin beim Bundesfinanzhof (BFH) die AdV des Umsatzsteuer-Jahresbescheides 2016, die zuvor das FA nach Erlass des FG-Urteils erneut abgelehnt hatte. Der AdV-Antrag sei im Hinblick auf die zwischenzeitlich erfolgte Klagestattgabe durch das FG auch als Änderungsantrag im Sinne von § 69 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässig und AdV zu gewähren. Das BFH-Urteil vom 16.03.2023 - V R 14/21 (V R 45/19) (BFHE 280, 89), wonach für die Aufhebung eines Steuerbescheides, der gegenüber einer unerkannten Organgesellschaft ergangen sei, zusätzlich der Organträger seinerseits einen Antrag auf Änderung seines Umsatzsteuerbescheides stellen müsse, sei im Streitfall nicht einschlägig, da der gegenüber der Antragstellerin ergangene Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2016 nicht formell bestandskräftig geworden sei. Man könne in dieser Konstellation nicht verlangen, dass der Organträger die Steuern "(quasi freiwillig) übernehme". Die AdV sei ab Fälligkeit der Steuerschuld zu gewähren, da der für die Feststellung der Organschaft notwendige Sachverhalt von Anfang an unstreitig gewesen sei. Auf eine Sicherheitsleistung könne im Hinblick auf die Erfolgsaussichten der Hauptsache verzichtet werden, zumal die Antragstellerin seit Jahren keinen operativen Geschäftsbetrieb mehr unterhalte.

Während des beim BFH anhängigen AdV-Verfahrens setzte das FA die Vollziehung des Umsatzsteuer-Jahresbescheides 2016 in Höhe von 81.068,53 € ohne Sicherheitsleistung ab Fälligkeit unter Vorbehalt des Widerrufs aus. Die Antragstellerin wendet sich, ohne einen gesonderten Antrag unter Berücksichtigung der Vollziehungsaussetzung zu stellen, nunmehr nur noch gegen den im Aussetzungsbescheid enthaltenen Widerrufsvorbehalt.

Das FA hat sich im Nachgang zur Vollziehungsaussetzung nicht geäußert.

II. Der Antrag hat keinen Erfolg. Der zulässige Antrag ist unbegründet.

1. Der Antrag ist zulässig.

a) Das Rechtsschutzbedürfnis für den AdV-Antrag ist nicht dadurch entfallen, dass das FA während des gerichtlichen AdV-Verfahrens AdV "ab Fälligkeit" unter dem Vorbehalt des "nach pflichtgemäßem Ermessen" auszuübenden Widerrufs bewilligt hat. Eine von der Finanzbehörde während des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens gewährte, unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs gestellte AdV erledigt nicht das an das Gericht herangetragene Anliegen des Steuerpflichtigen, vor einer Vollziehung unabhängig von dem Standpunkt der Verwaltungsbehörde geschützt zu sein, wenn der Steuerpflichtige --wie im Streitfall-- deutlich macht, dass er an seinem Begehren festhält (vgl. BFH-Beschlüsse vom 11.06.2010 - IV S 1/10, BFH/NV 2010, 1851, Rz 12; vom 23.07.2002 - X B 209/01, BFH/NV 2002, 1487, unter II.1.). Dies gilt auch, wenn --wie im Streitfall-- der Widerruf nicht ausdrücklich "jederzeit" vorbehalten ist. Denn es steht stets im gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren (Entschließungs-)Ermessen des FA, ob es von einem Widerrufsvorbehalt gemäß § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 der Abgabenordnung (AO) Gebrauch macht, so dass die Antragstellerin auch im Streitfall durch eine gerichtlich angeordnete AdV eine weitergehende Rechtsposition erlangen würde.

b) Der Zulässigkeit des Antrags steht auch nicht der die AdV ablehnende Beschluss des FG vom 02.01.2018 entgegen. Da nach § 69 FGO die AdV für jeden Verfahrensabschnitt gesondert zu prüfen ist und das FG im Regelfall lediglich über die AdV bis zum Ergehen seiner Entscheidung im Klageverfahren zu befinden hat (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 11.01.2012 - VII B 171/11, BFH/NV 2012, 756, Rz 7), handelt es sich vorliegend unter Berücksichtigung der vom FA bereits ab Fälligkeit gewährten Vollziehungsaussetzung nicht um die Wiederholung des früheren Antrags auf AdV im Sinne des § 69 Abs. 6 FGO (vgl. hierzu allgemein BFH-Beschluss vom 03.05.2012 - V S 13/12, BFH/NV 2012, 1485, Rz 13), sondern um einen erstmaligen Antrag, der nunmehr darauf gerichtet ist, den mit der Vollziehungsaussetzung verbundenen Widerrufsvorbehalt aufzuheben. Damit liegt unter Berücksichtigung der hier vorliegenden Besonderheiten ein Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO im jetzigen Verfahrensabschnitt der Revision vor dem BFH vor (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 16.08.2022 - XI S 4/21 (AdV), BFHE 276, 456, BStBl II 2023, 419, Rz 17). Auf die Frage, ob vorliegend auch die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO zu bejahen sein könnten und die hierauf bezogenen Zulässigkeitsüberlegungen der Antragstellerin, denen allerdings entgegensteht, dass der BFH in einem der Klage stattgebenden Urteil des FG in Bezug auf zurückliegende Zeiträume (vor diesem Urteil) keine veränderten Umstände im Sinne des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO gesehen hat (BFH-Beschluss vom 05.07.2011 - IV S 11/10, BFH/NV 2011, 1894, Rz 18), kommt es daher nicht an.

2. Es bestehen --auch unter Berücksichtigung des klagestattgebenden Urteils des FG-- keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes nach § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 FGO. Kann die Antragstellerin somit bereits dem Grunde nach keine AdV beanspruchen, steht ihr auch kein Anspruch auf AdV ohne Widerrufsvorbehalt zu.

a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 01.03.2024 - V B 34/23 (AdV), zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2024, 548, Rz 11; vom 06.05.2022 - V S 7/21 (AdV), BFH/NV 2022, 1067, Rz 9; vom 23.05.2022 - V B 4/22 (AdV), BFHE 276, 535, Rz 28). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Verfahren über die AdV gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (BFH-Beschlüsse vom 06.05.2022 - V S 7/21 (AdV), BFH/NV 2022, 1067, Rz 9; vom 23.05.2022 - V B 4/22 (AdV), BFHE 276, 535, Rz 28; vom 07.09.2011 - I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, Rz 12).

b) Ist der angegriffene Steuerbescheid --wie im Streitfall-- bereits Gegenstand eines anhängigen Revisionsverfahrens, bestehen ernstliche Zweifel, wenn unter Berücksichtigung der im Revisionsverfahren bestehenden Prüfungsmöglichkeiten ernstlich mit der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Steuerbescheides zu rechnen ist. Bei einem vermutlichen Durcherkennen des BFH ist daher auf die Erfolgsaussichten des Revisionsverfahrens, bei voraussichtlicher Zurückverweisung auf die Erfolgsaussichten des dann fortgesetzten Klageverfahrens abzustellen (BFH-Beschlüsse vom 06.05.2022 - V S 7/21 (AdV), BFH/NV 2022, 1067, Rz 9; vom 19.03.2014 - III S 22/13, BFH/NV 2014, 856, Rz 17; vom 24.11.1995 - VII S 21/95, BFH/NV 1996, 420). Im Fall einer Zurückverweisung bestehen ernstliche Zweifel allerdings auch dann, wenn sich aufgrund der bisherigen Feststellungen des FG nicht absehen lässt, ob die Klage letztlich Erfolg haben wird (BFH-Beschlüsse vom 18.02.2015 - V S 19/14, BFH/NV 2015, 866, Rz 27; vom 19.03.2014 - III S 22/13, BFH/NV 2014, 856, Rz 17; vom 11.08.2000 - I S 5/00, BFH/NV 2001, 314, unter II.2.), der Ausgang des Rechtsstreits also als offen bezeichnet werden kann (BFH-Beschluss vom 04.02.1997 - VII S 29/96, BFH/NV 1997, 588, unter II.).

c) Nach diesen Maßgaben bestehen im vorliegenden Verfahren keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Umsatzsteuer-Jahresbescheides 2016, da bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht ernstlich mit dessen Aufhebung aufgrund des Vorliegens der vom FG angenommenen Organschaft zu rechnen ist und auch keine sonstigen Gründe erkennbar sind, die eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides begründen könnten.

aa) Sind die Voraussetzungen einer Organschaft im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) mit einer KG als Organgesellschaft entsprechend dem Urteil des FG aufgrund geänderter BFH-Rechtsprechung zu unterstellen, setzt die Aufhebung einer gegenüber der KG ergangenen Steuerfestsetzung zudem voraus, dass der Organträger zur Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens in Bezug auf § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO einen Antrag auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung stellt (BFH-Urteil vom 16.03.2023 - V R 14/21 (V R 45/19), BFHE 280, 89, Rz 20). Entgegen der Auffassung der Antragstellerin erfasst die so bezeichnete Aufhebung einer gegenüber der KG ergangenen Steuerfestsetzung nicht nur den Fall, dass die KG --wie in der diesem BFH-Urteil zugrunde liegenden Fallgestaltung-- einen Änderungsantrag nach § 164 Abs. 2 AO stellt, sondern auch den --hier vorliegenden-- Fall der Anfechtung einer Steuerfestsetzung. Im Hinblick darauf, dass Organträger und Organgesellschaft nicht beanspruchen können, im selben Besteuerungszeitraum für den einen Unternehmensteil (zum Beispiel Organgesellschaft) auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung und für den anderen Unternehmensteil (zum Beispiel Organträger) nach der geänderten Rechtsprechung besteuert zu werden, ist zwischen diesen beiden Verfahrenssituationen nicht zu unterscheiden, da die Frage einer bereits eingetretenen formellen Bestandskraft hierfür unerheblich ist.

Soweit die Antragstellerin weiter darauf verweist, dass das "'Wehren' eines vermeintlichen Steuerpflichtigen gegen rechtswidrige Steuerbescheide (...) rechtsstaatlich nicht davon abhängig sein kann, dass der (tatsächliche) Steuerschuldner die Steuern (quasi freiwillig) übernimmt", lässt sie außer Betracht, dass bei der von ihr bejahten Anwendung von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nur ein Steuerrechtsverhältnis zum Organträger als Steuerschuldner besteht und die Organgesellschaft Bestandteil dieses Steuerrechtsverhältnisses ist (BFH-Urteil vom 16.03.2023 - V R 14/21 (V R 45/19), BFHE 280, 89, Rz 23).

bb) An dem danach erforderlichen Antrag des Insolvenzverwalters der als Organträgerin anzusehenden TL-GmbH fehlt es bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung. Das FG hat die --im Hinblick auf das erst nach seiner Entscheidung veröffentlichte BFH-Urteil vom 16.03.2023 - V R 14/21 (V R 45/19) (BFHE 280, 89)-- erforderlichen Feststellungen zur Antragstellung durch den Insolvenzverwalter der TL-GmbH --ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt-- nicht getroffen. Daher kann für den Fall, dass es im Hauptsacheverfahren zu einer Zurückverweisung an das FG zur Prüfung dieser Frage kommt, vom Vorliegen eines derartigen Antrags nur auf der Grundlage erst noch vom FG in einem zweiten Rechtsgang zu treffenden Feststellungen auszugehen sein.

Hierzu hat die Antragstellerin --möglicherweise im Hinblick auf die von ihr unzutreffend angenommene Unbeachtlichkeit des BFH-Urteils vom 16.03.2023 - V R 14/21 (V R 45/19) (BFHE 280, 89) für das vorliegende Verfahren-- nicht vorgetragen, dass ein solcher Antrag bereits gestellt wurde. Es ist für den Senat bei der gebotenen summarischen Prüfung auch nicht anderweitig ersichtlich, dass ein derartiger Antrag gestellt wurde. Es kann zudem unentschieden bleiben, ob der Insolvenzverwalter der TL-GmbH --unterstellt, dass dies ihm verfahrensrechtlich möglich wäre-- einen derartigen Antrag noch stellen wird, da nicht zu entscheiden ist, ob mit einer Antragstellung durch den Insolvenzverwalter zu rechnen sein könnte, falls sich dies für die Masse vorteilhaft auswirken sollte, oder ob hiergegen spricht, dass sich hierdurch im Umfang der Umsatzsteuerverbindlichkeiten der Antragstellerin die gegen die Masse gerichteten Insolvenzforderungen erhöhen. Dass der Ausgang des Rechtsstreits im Hinblick auf erst noch vom FG in einem zweiten Rechtsgang zu treffende Feststellungen als offen zu bezeichnen ist, genügt jedenfalls nach den Verhältnissen des Streitfalls nicht für eine Vollziehungsaussetzung, die zudem auch nicht von einer Prognoseentscheidung über ein zukünftiges Verhalten abhängen kann.

d) Im Hinblick auf das derzeit nicht ersichtlich erfüllte Antragserfordernis kann offenbleiben, ob das FG bisher hinreichende Feststellungen zur wirtschaftlichen Eingliederung (BFH-Urteil vom 01.02.2022 - V R 23/21, BFHE 276, 362, BStBl II 2023, 148, Leitsatz 1) der Antragstellerin getroffen hat, woran angesichts der nicht näher konkretisierten unternehmerischen Tätigkeit der TL-GmbH sowie der zwischen ihr und der Antragstellerin bestehenden wirtschaftlichen Beziehungen Zweifel bestehen könnten.

3. Die Vollziehung ist auch nicht wegen unbilliger Härte (§ 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 FGO) auszusetzen. Sind Rechtmäßigkeitszweifel --wie im Streitfall-- fast ausgeschlossen, ist die AdV selbst dann zu versagen, wenn die Vollziehung eine unbillige Härte zur Folge hätte (BFH-Beschluss vom 15.06.2022 - X B 87/21 (AdV), BFH/NV 2022, 1162, Rz 50).