BFH: Verstoß gegen den Anspruch auf den gesetzlichen Richter
Finanzgerichtsordnung
BFH, Beschluss vom 17.07.2024, VIII B 16/23
Verfahrensgang: FG Hessen, 4 K 591/21 vom 19.10.2022
Leitsatz:
NV: Die Beteiligung einer zum Zeitpunkt des Urteils an das Finanzgericht für insgesamt 18 Monate zur Eignungserprobung abgeordneten Richterin am Sozialgericht, die nach Ablauf der Abordnung zur Richterin am Finanzgericht ernannt wird, verstößt nicht gegen den Anspruch auf den gesetzlichen Richter.
Gründe:
Die Beschwerde ist teilweise unzulässig, teilweise unbegründet und daher insgesamt als unbegründet zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend gemachten Zulassungsgründe werden teilweise nicht ordnungsgemäß dargelegt beziehungsweise liegen nicht vor.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO kommt einer Rechtssache zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, das heißt, wenn die Beantwortung der Rechtsfrage aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung dem allgemeinen Interesse dient (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 30.06.2023 - VIII B 19/22, BFH/NV 2023, 1059, Rz 4, m.w.N.). Es muss sich um eine klärungsbedürftige Rechtsfrage handeln, die im Revisionsverfahren auch geklärt werden könnte.
a) Macht ein Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend, so hat er zunächst eine bestimmte, für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herauszustellen. Dafür ist erforderlich, dass er die entscheidungserhebliche Rechtsfrage hinreichend konkretisiert; nicht ausreichend ist eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Des Weiteren muss die Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen darlegen, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. Dazu muss ausgeführt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchem Grunde die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist (vgl. BFH-Beschluss vom 30.06.2023 - VIII B 19/22, BFH/NV 2023, 1059, Rz 4, m.w.N.).
b) Der Kläger wirft in seiner Beschwerdebegründung folgende Frage auf:
"Hat die Thesaurierung gemäß § 34a EStG die Folge, dass der thesaurierte Betrag dem Eigenkapital des Unternehmens gleichgestellt wird oder hat § 34a EStG lediglich Stundungscharakter?"
Diese Fragestellung ist isoliert betrachtet keine hinreichende Konkretisierung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage. Der Senat versteht die aufgeworfene Frage aber dahingehend, dass es der Kläger als grundsätzlich bedeutsam ansieht, ob der zum Ende des Veranlagungszeitraums festzustellende nachversteuerungspflichtige Betrag nach § 34a Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) im Ergebnis in der Höhe zu vermindern ist, in der im Feststellungszeitraum betriebliche Investitionen getätigt wurden. Dass die in diesem Sinne verstandene Rechtsfrage im Streitfall klärungsfähig ist, legt der Kläger aber nicht in der gebotenen Form dar (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
aa) Die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Frage in einem künftigen Revisionsverfahren ist nicht deswegen zu versagen, weil sie sich nur auf den Hilfsantrag des Ausgangsverfahrens bezieht. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage insoweit als unbegründet abgewiesen. Der Kläger kann auch nur wegen des Begehrens hinsichtlich des Hilfsantrags Zulassungsgründe geltend machen und die Zulassung der Revision begehren (vgl. BFH-Urteil vom 11.11.2008 - IX R 23/05, BFH/NV 2009, 388, unter II.1. [Rz 13]; Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 43 FGO Rz 168).
bb) Nach den Feststellungen des FG belief sich die Zuführung zum festzustellenden nachversteuerungspflichtigen Betrag im Jahr 2018 (Streitjahr) auf 196.550 ¤; der nachversteuerungspflichtige Betrag zum Ende des Vorjahres betrug 1.193.607 ¤. Der Kläger begehrte im finanzgerichtlichen Verfahren eine Minderung des nachversteuerungspflichtigen Betrags in Höhe von 1.008.720 ¤. Soweit die vom Kläger begehrte Minderung des festzustellenden nachversteuerungspflichtigen Betrags höher als der Betrag der Zuführung für das Streitjahr zum festzustellenden nachversteuerungspflichtigen Betrag ist, sind Streitfragen hierzu schon aufgrund der Anfechtungsbegrenzung des § 34a Abs. 9 Satz 2 EStG nicht klärungsfähig (hierzu Niehus/Wilke in Herrmann/Heuer/Raupach, § 34a EStG Rz 125; Brandis/Heuermann/Ratschow, § 34a EStG Rz 91).
cc) Auch im Übrigen fehlt es an der Darlegung der Klärungsfähigkeit der vom Kläger aufgeworfenen Frage.
Der Kläger trägt zwar ausführlich vor, § 34a EStG sei in seiner Gesamtkonzeption gesetzgeberisch sowie rechtspolitisch verfehlt und insgesamt reformbedürftig, insbesondere hinsichtlich des Zusammenspiels des Thesaurierungssatzes nach § 34a Abs. 1 Satz 1 EStG und des 25%igen Steuersatzes der Nachversteuerung nach § 34a Abs. 4 Satz 2 EStG, der Verwendungsreihenfolge und der Umsetzung der vom Gesetzgeber gewollten Stärkung der Eigenkapitalausstattung (vgl. hierzu BTDrucks 16/4841, S. 30; vgl. BFH-Urteil vom 10.11.2020 - IX R 34/18, BFHE 271, 207, BStBl II 2021, 455, Rz 17). Es fehlt für die Darlegung der Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage aber eine Auseinandersetzung damit, ob die vom Kläger begehrte Minderung des nachversteuerungspflichtigen Betrags um die betrieblichen Investitionen angesichts des insoweit klaren und der Auslegung des Klägers entgegenstehenden Wortlauts von § 34a Abs. 3 Satz 2 EStG für den Senat in einem Revisionsverfahren überhaupt methodisch möglich wäre.
2. Aus den unter 1. dargelegten Gründen ist die Revision auch nicht zur Rechtsfortbildung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO zuzulassen. Hierbei handelts es sich um einen besonderen Fall des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung. Daher setzt auch er voraus, dass der Kläger eine klärungsbedürftige und im konkreten Streitfall klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft (vgl. BFH-Beschluss vom 13.03.2024 - VIII B 4/23, BFH/NV 2024, 685, Rz 7). Daran fehlt es hier.
3. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einem Verfahrensmangel im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 119 Nr. 1 FGO und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG). Das FG war entgegen der Auffassung des Klägers vorschriftsmäßig besetzt.
a) Der Kläger hat den Verfahrensmangel darauf gestützt, dass an der angefochtenen Entscheidung Richterin am Sozialgericht R mitgewirkt hat und nicht zu erkennen sei, auf welcher Grundlage eine Richterin eines Sozialgerichts an einem finanzgerichtlichen Verfahren mitwirke.
Die Mitwirkung von Richterin am Sozialgericht R an der Entscheidung führt nicht dazu, dass der Anspruch des Klägers auf die vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts verletzt wurde.
aa) Einen Verstoß gegen § 119 Nr. 1 FGO in Verbindung mit einfachgesetzlichen Normen, die die Mitwirkung von Richterin am Sozialgericht R betreffen, ist nicht dargelegt. Die genannte Richterin war zum Zeitpunkt der Entscheidung an das FG abgeordnet; nach Ablauf ihrer 18-monatigen Abordnung wurde sie zur Richterin am Finanzgericht ernannt. Ein Verstoß gegen das Gerichtsverfassungsgesetz --GVG-- (insbesondere § 21g GVG), die Finanzgerichtsordnung beziehungsweise das Deutsche Richtergesetz --DRiG-- (insbesondere § 29 DRiG) hat der Kläger weder behauptet noch dargelegt.
bb) Eine Verletzung von § 119 Nr. 1 FGO i.V.m. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Hinblick darauf, dass am angefochtenen Urteil eine an das FG abgeordnete Richterin mitgewirkt hat, scheidet aus.
aaa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- (vgl. Beschluss vom 10.11.2022 - 1 BvR 1623/17, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht --NVwZ-- 2023, 418, Rz 11 ff., m.w.N.) sind die Gerichte wegen der Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit für deren Rechtsschutzauftrag und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz grundsätzlich mit hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richtern zu besetzen. Haben bei einer Entscheidung ohne zwingende Gründe Richter mitgewirkt, die nicht hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellt sind, so ist das Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Zwingende Gründe liegen vor, wenn Richter zur Eignungserprobung abgeordnet werden (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 10.11.2022 - 1 BvR 1623/17, NVwZ 2023, 418, Rz 12; vom 22.03.2018 - 2 BvR 780/16, BVerfGE 148, 69, Rz 67; vom 22.06.2006 - 2 BvR 957/05, juris, unter III.2. [Rz 7]; Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 21.11.2023 - 2 AZN 153/23, Der Betrieb 2024, 199, Rz 3).
bbb) Die Abordnung von Richterin am Sozialgericht R an das FG mündete nach 18 Monaten in ihrer Ernennung zur Richterin am Finanzgericht. Sie diente damit objektiv ihrer Eignungserprobung. Anhaltspunkte für das Gegenteil sind nicht ersichtlich. Ein Verstoß gegen § 119 Nr. 1 FGO i.V.m. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG scheidet unter diesem Aspekt aus.
b) Der Kläger hat einen weiteren Verstoß gegen den Anspruch auf den gesetzlichen Richter nach § 119 Nr. 1 FGO i.V.m. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG damit begründet, dass aus dem Umstand, dass der Vorsitzende des erkennenden Senats beim FG zum Zeitpunkt der Entscheidung zugleich Vorsitzender eines weiteren Senats des FG gewesen ist, auf eine "unzureichende Personalausstattung der Justiz" zu schließen sei. Dieser Verfahrensmangel ist nicht substantiiert dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO; vgl. zum Doppelvorsitz BVerfG-Beschluss vom 23.05.2012 - 2 BvR 610/12, BVerfGK 19, 407, Rz 11 ff.). Der Kläger hat nicht dargetan, inwiefern die von ihm gerügte unzureichende Personalausstattung seinen Anspruch auf den gesetzlichen Richter verletzt hat (vgl. zum Prüfungsmaßstab BVerfG-Beschluss vom 23.05.2012 - 2 BvR 610/12, BVerfGK 19, 407, Rz 13).