Zum Hauptinhalt springen Zur Suche springen Zur Hauptnavigation springen
Menschen in einem dunklen Raum mit bunter Lichtstimmung, Fokus auf dem Hinterkopf einer Person im Vordergrund

Vergütung und Vergütungsentwicklung freigestellter Betriebsratsmitglieder – Arbeitgebervertreter im Spagat zwischen strafbarer Untreue und Erfüllung bestehender arbeitsrechtlicher Ansprüche?

Betriebsverfassungsgesetz

Das BAG hat mit Urteil vom 20.3.2025 (7 AZR 46/24) zur Vergütung und Vergütungsentwicklung freigestellter Betriebsratsmitglieder – insbesondere zur Darlegungs- und Beweislast im arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit – grundlegende Aussagen getroffen (Entscheidungszusammenfassung mit Praxishinweisen der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB).

Sachverhalt:

Der Kläger ist seit 1984 bei der Beklagten, einer Automobilherstellerin, beschäftigt. Er war als Anlagenführer tätig und wurde nach den einschlägigen (firmen-)tarifvertraglichen Regelungen entsprechend der sog. Entgeltstufe (ES) 13 vergütet. Seit 2002 ist er Mitglied des Betriebsrats und von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt. Anfang 2003 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sein Arbeitsentgelt werde entsprechend der mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung gem. § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG der ES 14 angepasst. In der Folgezeit erhielt der Kläger ähnlich lautende Anpassungsmitteilungen hinsichtlich der jeweils nächsthöheren Entgeltstufe und bezog ab 1. Januar 2015 eine Vergütung nach ES 20. Im Oktober 2015 wurde ihm eine freie Stelle als Fertigungskoordinator angetragen, für die er intern als „Idealbesetzung“ galt. Auf Grund seiner Betriebsratstätigkeit bewarb sich der Kläger nicht.

Im Nachgang zur Entscheidung des BGH v. 10.1.2023, 6 StR 133/22, überprüfte die Beklagte die Vergütungen freigestellter Betriebsratsmitglieder. Beim Kläger erachtete sie eine Vergütung nach ES 18 als zutreffend und forderte für Oktober 2022 bis Januar 2023 die über die ES 18 hinaus gezahlte Vergütung zurück. Im Februar 2023 erhielt der Kläger Entgelt nach ES 17, seit März 2023 auf Grundlage von ES 18.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger Vergütungsdifferenzen, den zurückgezahlten Betrag sowie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, das Arbeitsverhältnis ab dem 1. Januar 2015 nach den jeweils geltenden tarifvertraglichen und betrieblichen Regelungen für Beschäftigte in der ES 20 durchzuführen. Er hat sich neben den Anpassungsmitteilungen der Beklagten auch darauf berufen, eine Vergütung nach ES 20 entspreche seiner hypothetischen Karriere zu einer Tätigkeit als Fertigungskoordinator.

Das LAG hat den Zahlungsanträgen im Wesentlichen stattgegeben und nach der begehrten Feststellung – allerdings erst ab 1. Januar 2016 – erkannt. Es ist davon ausgegangen, der Kläger habe zwar keinen Anspruch auf Vergütung nach ES 20 gem. § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG (Vergütungsanpassung), wohl aber nach § 78 Satz 2 BetrVG i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB (fiktiver Beförderungsanspruch). Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, während der Kläger mit seiner Revision die teilweise Abweisung seines Feststellungsantrags angreift.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Siebten Senat des BAG Erfolg und führte zu einer Zurückverweisung der Sache an das LAG. Dagegen hatte die Revision des Klägers keinen Erfolg.

Das Feststellungsbegehren des Klägers war bereits unzulässig, weil er konkrete Zahlungsanträge stellen konnte und auch gestellt hat. Ob seine Zahlungsanträge begründet sind, konnte das BAG nicht abschließend beurteilen. Das LAG hat bei dem hauptsächlich zur Entscheidung gestellten Anpassungsanspruch nach § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG die Darlegungs- und Beweislast bei dem Kläger gesehen. Ermittelt jedoch – wie vorliegend – der Arbeitgeber eine für das Betriebsratsmitglied ersichtlich auf § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG gestützte Vergütungsanpassung, teilt diese dem (freigestellten) Betriebsratsmitglied mit und zahlt eine dementsprechende Vergütung, trifft ihn die Darlegungs- und Beweislast für deren objektive Fehlerhaftigkeit, wenn er im Nachhinein die Bemessung des Arbeitsentgelts korrigiert.

Erst wenn die Beklagte die Fehlerhaftigkeit der Vergütungsanpassung darzulegen und ggf. zu beweisen vermag, wird das LAG über die Zahlungsanträge auf Grund des hilfsweise erhobenen Anspruchs des Klägers infolge des Verbots einer Benachteiligung bei seiner beruflichen Entwicklung zu befinden haben. Aus § 78 Satz 2 BetrVG kann sich i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB ein unmittelbarer Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf eine bestimmte Vergütung ergeben, wenn sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit darstellt. Dieser bildet einen eigenständigen prozessualen Anspruch (Streitgegenstand); § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG enthält insoweit keine abschließende Regelung über die Höhe des Arbeitsentgelts des Amtsträgers. Diese Maßgabe ist mit dem Urteil des BGH v. 10.1.2023, 6 StR 133/22, nicht in Frage gestellt.

Hinweis für die Praxis:

Im Urteil des BAG wird verschiedentlich auf eine Entscheidung des BGH v. 10.1.2023, 6 StR 133/22, abgehoben, die allerdings inhaltlich nicht referiert wird. In diesem Urteil hat der Sechste Strafsenat des BGH entschieden, dass der objektive Tatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB erfüllt sein kann, wenn ein Vorstand oder Prokurist einer Aktiengesellschaft unter Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot (§ 78 Satz 2 BetrVG) einem Mitglied des Betriebsrats ein überhöhtes Arbeitsentgelt gewährt. Damit ist das freisprechende Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 28.9.2021 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung in Entscheidung an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückverwiesen worden.

Inhaltlich ging es um Vorstandsmitglieder und Personalleiter der V. AG, die Betriebsratsmitglieder unzulässig hohe Arbeitsentgelte gewährt haben sollen.

Die Vergütung des Klägers im Verfahren beim BAG war nicht Gegenstand dieses Strafverfahrens, das Arbeitgeberunternehmen hat das Strafurteil jedoch zum Anlass genommen, die Höhe der Vergütung auch anderer freigestellter Betriebsratsmitglieder – so auch diejenige des Klägers – zu prüfen.

Wesentlich sind dabei die Aussagen des BAG zur Darlegungs- und Beweislast; danach hat den allgemeinen Grundsätzen entsprechend derjenige, der ein Recht für sich in Anspruch nimmt, die tragenden Tatsachen dafür darzulegen und zu beweisen. Verlangt das freigestellte Betriebsratsmitglied eine höhere Vergütung, trifft die Darlegungs- und Beweislast ihn. Macht das Arbeitgeberunternehmen dagegen das Recht geltend, eine bereits gewährte Vergütungserhöhung wieder zurückzunehmen, muss die Fehlerhaftigkeit der gewährte Vergütungserhöhung darlegen und beweisen.

Den Verantwortlichen in Unternehmen mit freigestellten Betriebsratsmitgliedern ist daher dringend zu empfehlen, Entscheidungen über deren Vergütungserhöhung sorgfältig und vorsichtig zutreffend. Bereits durch die dargestellte Umkehr der Darlegungs- und Beweislast können im Ergebnis Rechtsnachteile für das Arbeitgeberunternehmen entstehen und kann bei einer tatsächlich überhöhten Vergütung jedenfalls der objektive Tatbestand der Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) erfüllt sein.

Autor: Rechtsanwalt Dr. Christoph Fingerle, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg

Quelle: Pressemitteilung des BAG Nr. 13/2025 vom 18.3.2025