Anm. zu BAG: Annahmeverzugslohn und böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes
Arbeitsrecht
Das BAG hat mit Urteil vom 7.2.2024 (5 AZR 177/23) entschieden, dass im Rahmen der Beurteilung der Böswilligkeit im Sinne von § 11 Nr. 2 KSchG auch ein Verhalten des Arbeitnehmers zu seinen Lasten zu berücksichtigen ist, mit dem er verhindert, dass die Agentur für Arbeit ihrem Vermittlungsauftrag nachkommt (Entscheidungszusammenfassung mit Praxishinweisen der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB).
Sachverhalt:
Nachdem der Kläger erfolgreich Kündigungsschutzklage erhoben hatte, bei welcher gerichtlich festgestellt worden ist, dass das Arbeitsverhältnis auf Grund unwirksamer Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst worden ist, klagte der Kläger anschließend Annahmeverzugslohn ein.
Die Beklagte verweigerte die Zahlung mit der Begründung, dass der Kläger es böswillig unterlassen habe, einen anderweitigen Verdienst zu erzielen. Unstreitig ist, dass die Agentur für Arbeit dem Kläger keine Stellenangebote unterbreitet hatte, weil er dieser mitgeteilt hatte, er könne sich bewerben, wenn man ihn dazu zwinge. Er werde einem potentiellen Arbeitgeber aber bei Bewerbungen – noch vor einem Vorstellungsgespräch – mitteilen, dass ein Gerichtsverfahren mit dem letzten Arbeitgeber laufe und er unbedingt dort weiterarbeiten wolle.
Nachdem das LAG Baden-Württemberg mit Urteil v. 29.12.2022 (3 Sa 100/21) der Klage auf Annahmeverzugslohn stattgab, hat das BAG das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Entscheidungsgründe:
Das BAG stellte darauf ab, dass § 11 Nr. 2 KSchG bestimme, dass sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, das anrechnen lassen müsse, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen.
Die Beweislast für die Einwendung nach § 11 Nr. 2 KSchG trage grundsätzlich der Arbeitgeber, der im ersten Schritt konkret darzulegen habe, dass für den Arbeitnehmer im Verzugszeitraum Beschäftigungsmöglichkeiten bestanden. In Bezug auf die Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit habe er ergänzend einen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer.
Sodann treffe den Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der aus § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO folgenden Pflicht, sich zu den vom Arbeitgeber behaupteten Tatsachen wahrheitsgemäß und vollständig zu erklären, eine sekundäre Darlegungslast.
Lege der Arbeitnehmer hierbei dar, dass er sich nach einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend gemeldet habe und deren Vermittlungsangeboten sachgerecht nachgegangen sei, wird ihm regelmäßig keine vorsätzliche Untätigkeit vorzuwerfen sein. Die Feststellungslast hinsichtlich der Fragen, ob diese Vermittlungsvorschläge „zumutbare“ und im Fall einer Bewerbung verwirklichbare Erwerbschancen dargestellt haben, bleibe beim Arbeitgeber.
Entsprechendes gelte, wenn der Arbeitgeber im Annahmeverzugsprozess darlegt und im Streitfall beweist, dass er dem Arbeitnehmer geeignete Stellenangebote übermittelt habe. Mit diesen habe sich der Arbeitnehmer – im zumutbaren Rahmen – auseinanderzusetzen und sich zu bewerben. Hierzu habe sich der Arbeitnehmer zu erklären und darzulegen, was er unternommen hat.
Vorliegend sei jedoch im Rahmen der Beurteilung der Böswilligkeit zu berücksichtigen gewesen, dass der Kläger durch seine Äußerungen gegenüber der Agentur für Arbeit die Ursache dafür gesetzt habe, dass ihm von dieser über ein Jahr lang keine Vermittlungsvorschläge unterbreitet worden seien. Ein ungefragter Hinweis auf ein laufendes Gerichtsverfahren mit dem bisherigen Arbeitgeber schon vor einem Vorstellungsgespräch entspreche nicht dem Verhalten einer tatsächlich um eine Beschäftigung bemühten Person.
Hinweise für die Praxis:
Das Urteil des BAG vom 7.2.224 (5 AZR 177/23) ist äußerst praxisrelevant, da es nochmals zu einigen wesentlichen Grundsätzen im Zusammenhang mit dem Annahmeverzugslohn Stellung nimmt. Insbesondere soll es zulässig sein, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer geeignete Stellenangebote, z.B. aus Zeitungsannoncen oder privaten „Jobportalen“ übermittelt, um ihn aktiv zur Prüfung anderweitiger Beschäftigungsoptionen zu veranlassen. Während der Arbeitgeber dadurch das Risiko des Annahmeverzugslohns minimieren kann, sollten Arbeitnehmer hingegen den Eindruck vermeiden, dass sie an einer anderweitigen zumutbaren Stelle kein Interesse haben. Andernfalls müsste sich der betroffene Arbeitnehmer den böswillig unterlassenen Verdienst nach § 11 Nr. 2 KSchG anrechnen lassen.
Autorin: Rechtsanwältin Dr. Nadja Schmidt LL.M., Friedrich Graf von Westphalen, Köln
Quelle: BAG, Urteil v. 7.2.2024 (5 AZR 177/23)
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