Anm. zu BAG: Arbeitnehmerüberlassung – Einschränkung des Konzernprivilegs

Arbeitnehmerüberlassungsgesetz

Das BAG hat Urteil vom 12.11.2024 (9 AZR 13/24) entschieden, dass eine unzulässige Arbeitnehmerüberlassung auch dann vorliegen kann, wenn ein Arbeitnehmer seit Beginn des Arbeitsverhältnisses über mehrere Jahre an ein anderes Konzernunternehmen überlassen worden ist (Entscheidungszusammenfassung mit Praxishinweisen der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB).

Sachverhalt:

Der klagende Arbeitnehmer war vom 14.7.2008 bis zum 30.4.2020 bei der S-GmbH als Sitzefertiger angestellt. Seine vertraglich geschuldete Tätigkeit verrichtete er auf dem Werksgelände der Beklagten, einem Unternehmen der Automobilindustrie. Die Beklagte und die S-GmbH waren während der Beschäftigungsdauer des Klägers konzernverbundene Unternehmen.

Die genauen Umstände, unter denen der Kläger seine Arbeitsleistung erbrachte, sind zwischen den Parteien umstritten.

Der Kläger meint, zwischen den Parteien sei nach § 10 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen, weil er seit Anbeginn seiner Beschäftigung bei der Beklagten unter Verletzung der Vorgaben des AÜG als Leiharbeitnehmer eingesetzt worden sei. Die vertragliche Zusammenarbeit zwischen der Beklagten und der S-GmbH sei nicht dienst- oder werkvertraglicher Natur gewesen, sondern als Arbeitnehmerüberlassung zu qualifizieren.

Die Vorinstanzen (LAG Niedersachsen v. 9.11.2023, 5 Sa 180/23) haben die Klage abgewiesen. Das LAG hatte die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG für das Eingreifen des Konzernprivilegs bejaht, weil der Kläger wie im Gesetz formuliert „nicht zum Zwecke der Überlassung eingestellt und beschäftigt“ worden sei.

Entscheidungsgründe:

Mit dieser Begründung durfte nach der Entscheidung des BAG das LAG die Klage nicht abweisen.

Das gesetzliche Konzernprivileg ist nicht nur dann unanwendbar, wenn Einstellung „und“ Beschäftigung zum Zweck der Überlassung erfolgen. Nach der Auslegung des BAG ist das Wort „und“ in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG als Aufzählung der bezeichneten Sachverhalte zu verstehen. Nach dem Willen des Gesetzgebers komme das Konzernprivileg eben auch dann nicht zur Anwendung, wenn der Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung eingestellt „oder“ beschäftigt werde. Dies sei regelmäßig der Fall, wenn der Arbeitnehmer seit Beschäftigungsbeginn über mehrere Jahre hinweg durchgehend als Leiharbeitnehmer eingesetzt werde. Eine solche Praxis indiziere einen entsprechenden Beschäftigungszweck.

Der Neunte Senat verwies den Streit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück. Dieses muss nunmehr beurteilen, was es bislang offenließ, ob der Kläger wie behauptet tatsächlich in Form der Arbeitnehmerüberlassung beschäftigt wurde – dann wäre das AÜG anwendbar. Dies hängt davon ab, ob der Kläger tatsächlich in die Arbeitsorganisation der Beklagten eingegliedert war und deren Weisungen unterlag oder ob allein die S-GmbH gegenüber dem Kläger weisungsbefugt war.

Hinweise für die Praxis:

Die Entscheidung ist für Konzernunternehmen wichtig, die sich bislang auf Grund des gesetzlichen Konzernprivilegs noch privilegiert fühlten.

Das LAG hatte noch argumentiert, das gesetzliche Konzernprivileg in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG dürfe nicht aus Gründen der Europakonformität in sein Gegenteil verkehrt werden. Die gesetzliche Formulierung könne nicht dahingehend ausgelegt werden, dass unabhängig von den Bedingungen der Einstellung jegliche Beschäftigung des in einem konzernangehörigen Unternehmen eingestellten Arbeitnehmers als Leiharbeitnehmer in einem weiteren konzernangehörigen Unternehmen eine Inanspruchnahme des Konzernprivilegs ausschließe, da dann für das Konzernprivileg kein Raum bliebe und der Wille des nationalen Gesetzgebers vollständig ignoriert würde.

Das BAG hat anders entschieden. Welchen Anwendungsbereich das Konzernprivileg nach der Entscheidung des BAG noch hat, kann erst beurteilt werden, wenn die Urteilsgründe vorliegen – derzeit liegt nur eine Pressemitteilung vor.

Vorerst sollten Arbeitgeber auch bei Überlassung eines Arbeitnehmers im Konzern die Vorgaben des AÜG strikt beachten.

Autor:   Rechtsanwalt Dr. Stefan Daub, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg

Quelle:  Pressemitteilung des BAG Nr. 30/24 v. 12.11.2024