Anm. zu BAG: Urlaubsabgeltung – auch bei Arbeitsunfähigkeit oder Erwerbsminderung ist der Referenzzeitraum vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses maßgeblich
Bundesurlaubsgesetz
Das BAG hat mit Urteil vom 3.6.2025 (9 AZR 137/24) entschieden, dass sich die Berechnung der Urlaubsabgeltung auch dann nach dem Durchschnittsverdienst der letzten 13 Wochen vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses richtet, wenn der Arbeitnehmer zuvor über einen längeren Zeitraum arbeitsunfähig oder erwerbsgemindert war (Entscheidungszusammenfassung mit Praxishinweisen der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB).
Sachverhalt:
Die Klägerin war von Dezember 2012 bis Mai 2022 als Angestellte mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von sechs Stunden an fünf Tagen pro Woche beschäftigt. Ihr standen jährlich 26 Urlaubstage zu. Nach einer längeren Arbeitsunfähigkeit ab Dezember 2018 bezog sie ab Oktober 2019 eine volle Erwerbsminderungsrente. Zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestand ein Resturlaubsanspruch aus dem Jahr 2018 im Umfang von 16 Tagen.
Die Klägerin verlangte hierfür eine Urlaubsabgeltung i.H.v. 942,72 Euro brutto und argumentierte, dass bei der Berechnung der im Jahr 2022 geltende gesetzliche Mindestlohn zu Grunde zu legen sei. Die Arbeitgeberin hielt dagegen, der maßgebliche Zeitraum seien die letzten 13 Wochen vor der Erkrankung im Jahr 2018, so dass allenfalls der seinerzeit geltende, niedrigere Mindestlohn anzusetzen sei. Während das Arbeitsgericht Wiesbaden die Klage abwies, gab das LAG Hessen der Klägerin teilweise recht.
Entscheidungsgründe:
Das BAG bestätigte die Entscheidung des LAG und stellte klar, dass die Abgeltung nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu berechnen ist. Maßgeblich sei nach § 11 Abs. 1 BUrlG der durchschnittliche Arbeitsverdienst in den letzten 13 Wochen vor Beendigung, nicht vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit.
Verdienstkürzungen infolge unverschuldeter Arbeitsversäumnis – etwa wegen Krankheit, Kurzarbeit oder Erwerbsminderung – mindern dabei nach Auffassung des BAG den Urlaubsabgeltungsanspruch nicht. Auch Zeiten des Bezugs einer vollen Erwerbsminderungsrente gelten als eine solche unverschuldete Arbeitsversäumnis. Das BAG begründet dies mit dem unionsrechtlichen Gebot aus Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG, wonach das Urlaubsentgelt dem „gewöhnlichen Arbeitsentgelt“ entsprechen müsse. Eine Kürzung wegen Krankheit oder Erwerbsminderung sei unzulässig.
Im Ergebnis sei für die Berechnung der Urlaubsabgeltung daher der im Jahr 2022 geltende Mindestlohn von 9,82 Euro brutto pro Stunde maßgeblich. Wegen einer anzusetzenden täglichen Arbeitszeit von sechs Stunden und dem Umfang von 16 abzugeltenden Urlaubstagen ergab sich die zugesprochene Summe von 942,72 Euro brutto.
Hinweise für die Praxis:
Mit seinem Urteil bestätigt das BAG seine diesbezügliche Rechtsprechung (vgl. BAG v. 16.4.2024 , 9 AZR 165/23) und entwickelt diese weiter. Konkret stärkt die vorliegende Entscheidung die Rechte von Arbeitnehmern, die bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses längere Zeit arbeitsunfähig oder erwerbsgemindert waren. Arbeitgeber müssen bei der Berechnung der Urlaubsabgeltung stets auf den Referenzzeitraum unmittelbar vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses abstellen. Kürzungen wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten oder Erwerbsminderung sind unzulässig, insoweit ist ein hypothetischer Verdienst zu Grunde zu legen, den der Arbeitnehmer bezogen hätte, hätte er gearbeitet.
Autor: Rechtsanwalt Max Maiorano-Fahr, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg
Quelle: BAG, Urteil v. 3.6.2025 (9 AZR 137/24)