Anm. zu LAG Baden-Württemberg: Herabstufung der Vergütung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds

Betriebsverfassungsgesetz

Das LAG Baden-Württemberg folgt in seinem Urteil vom 7.8.2024 (8 Sa 18/24) der Rechtsprechung des BAG und entscheidet, dass sich aus § 78 Satz 2 BetrVG iVm. § 611a Abs. 2 BGB ein unmittelbarer Anspruch eines freigestellten Betriebsratsmitglieds ergeben kann, wenn sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung darstellt. Ist eine höhere Vergütung zugesagt und gezahlt worden, trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für einen Verstoß gegen das Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG, wenn diese höhere Vergütungszusage zurückgenommen werden soll (Entscheidungszusammenfassung mit Praxishinweisen der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB).

Sachverhalt:

Die Parteien streiten um die Anpassung der Vergütung des Klägers als freigestelltes Betriebsratsmitglied. Bis zur Übernahme dieses Amtes war er als Montierer beschäftigt und nach dem anzuwendenden Tarifvertrag entsprechend eingestuft.

Im Rahmen einer externen Überprüfung der Vergütung aller freigestellten Betriebsratsmitglieder im Jahr 2019 gelangte man auf Grundlage einer hypothetischen Betrachtung zu dem Ergebnis, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass sich der Kläger von seinem ursprünglichen Arbeitsplatz als „Montierer“ auf eine der freien Stellen als „Sachbearbeiter Fertigungssteuerung“ entwickelt hätte. Im Zeitraum seiner Freistellung waren bei der Beklagten mindestens zwei solche Stellen ausgeschrieben.

Dabei wurde berücksichtigt, dass der Kläger vor seinem Amtsantritt bereits seine Vorgesetzten vertreten hatte, stets Zusatzaufgaben erledigt hatte und von seinen Vorgesetzten zu den besten 5 % der Mitarbeiter eingeordnet wurde. Durch zahlreiche – wenn auch fachfremde – Weiterbildungen und verschiedene Ämter neben seiner Betriebsratstätigkeit habe der Kläger zudem Entwicklungswille und eine starke Persönlichkeit bewiesen. Dementsprechend passte die Beklagte auf den 1.3.2020 die Vergütung des Klägers durch Einstufung in eine höhere Entgeltgruppe an.

Nach einer durch das Urteil des BGH vom 10.1.2023 (6 StR 133/22) veranlassten erneuten Prüfung wurde dem Kläger mit Schreiben vom 9.3.2023 mitgeteilt, dass er wieder entsprechend als „Montierer“ tariflich eingestuft und vergütet werde und überzahlte Beträge zurückgefordert werden.

Mit seiner Klage macht der Kläger Zahlungsansprüche geltend und verlangt Feststellung, dass er als freigestelltes Betriebsratsmitglied entsprechend der höheren Entgeltgruppe zu vergüten sei. Er war damit in der Vorinstanz erfolgreich, wogegen die Beklagte Berufung einlegte.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Der Kläger habe gem. § 611a Abs. 2 BGB iVm. §§ 37, 78 Satz 2 BetrVG einen Anspruch auf Vergütung nach der höheren tariflichen Entgeltgruppe, so das LAG.

Nach § 37 Abs. 4 BetrVG a.F. dürfe das Arbeitsentgelt von freigestellten Betriebsratsmitgliedern nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer. Das LAG betont aber, dass die Norm keine abschließende Regelung über die Höhe des Arbeitsentgelts des Amtsträgers enthalte, sondern zudem § 78 Satz 2 BetrVG berücksichtigt werden müsse. Danach dürften die Mitglieder des Betriebsrats wegen ihrer Amtstätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden. Daher könne iVm § 611a Abs. 2 BGB ein unmittelbarer Anspruch auf eine bestimmte Vergütung entstehen, wenn die Zahlung einer geringeren Vergütung eine Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit darstelle. Dies sei insbesondere der Fall, wenn das Betriebsratsmitglied nur wegen seiner Amtstätigkeit nicht in eine Position mit höherer Vergütung aufgestiegen ist. Es werde hierbei die hypothetische berufliche Entwicklung des konkreten Arbeitnehmers beurteilt.

Das LAG betont, dass dem die Entscheidung des BGH vom 10.1.2023 (6 StR 133/22) nicht entgegenstehe. Zunächst nehme die Entscheidung auf die BAG-Rechtsprechung Bezug, so dass die Berücksichtigung einer hypothetischen beruflichen Entwicklung bei der Bestimmung der Vergütung nicht ausgeschlossen sei. Selbst wenn man aber das Gegenteil annehmen würde, sei für die arbeitsrechtliche Beurteilung allein die Rechtsprechung des BAG maßgeblich.

Das LAG entscheidet weiter, dass zwar grundsätzlich das Betriebsratsmitglied, das den Arbeitgeber auf die Zahlung einer höheren Vergütung in Anspruch nimmt, die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer unzulässigen Benachteiligung trage. Die Darlegungs- und Beweislast wechsele aber auf den Arbeitgeber, wenn dieser gegenüber dem Betriebsratsmitglied geltend mache, eine in der Vergangenheit zugesagte Vergütung verstoße gegen das Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG. Der Arbeitgeber müsse einen Sachverhalt darlegen, der Schluss auf eine unzulässige Begünstigung ermögliche. Dies entspreche dem allgemeinen Grundsatz, dass derjenige, der sich auf einen Verstoß gegen ein Verbotsgesetz beruft, diesen beweisen muss.

Das LAG meint, die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte habe nicht darzulegen vermocht, dass eine fiktive Bewerbung des Klägers auf eine der freien Stellen ohne Erfolg gewesen wäre oder dass die Vergütung nach der höheren tariflichen Entgeltgruppe nur wegen der Betriebsratstätigkeit des Klägers gewährt worden wäre.

Es sei hierbei unschädlich, dass auch der während der Betriebsratstätigkeit gezeigte Weiterbildungswille und seine Bereitschaft, weitere Ämter zu bekleiden, bei der Hochstufung als Indiz für das persönliche Potential mitberücksichtigt wurde. Zwar könne es eine nach § 78 Satz 2 BetrVG unzulässige Begünstigung sein, wenn im Rahmen der Amtstätigkeit erworbene Kenntnisse berücksichtigt werden. Es sei jedoch danach zu differenzieren, ob die Kenntnisse im Unternehmen auch außerhalb des Betriebsrats für die Stelle karriere- und vergütungsrelevant sind. Mit der Berücksichtigung des Weiterbildungswillens und der Persönlichkeit des Klägers werde nicht an die Betriebsratstätigkeit als solche angeknüpft, sondern an persönliche Eigenschaften des Klägers, die grundsätzlich vergütungsrelevant sind. Auch zu berücksichtigen sei, dass diese Eigenschaften für die Beklagte nicht die tragende Grundlage für die Gewährung der höheren Vergütung waren.

Hinweise für die Praxis:

Das LAG Baden-Württemberg schließt sich der Rechtsprechung des BAG an und betont, dass die Entscheidung des BGH hiervon keine Abweichung zulasse. Zum einen nehme dieses Urteil auf die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung Bezug, zum anderen sei man bezüglich der arbeitsrechtlichen Beurteilung nicht an die Rechtsprechung des BGH gebunden.

Damit ist bei der Vergütung der freigestellten Betriebsratsmitglieder weiter die hypothetische berufliche Entwicklung des individuellen Betriebsratsmitglieds zu berücksichtigen. Die Darlegungs- und Beweislast richtet sich dabei nach allgemeinen Grundsätzen.

Das LAG legt zudem fest, dass die Berücksichtigung von Kenntnissen, die während der Amtszeit erlangt wurden, bei der hypothetischen beruflichen Entwicklung beachtet werden dürfen, wenn sie allein an die persönlichen Eigenschaften des Betriebsratsmitglieds anknüpfen, die unabhängig von der Amtsträgerschaft im Unternehmen vergütungsrelevant sind.

Autorin: Rechtsanwältin Stephanie Mayer, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg

Quelle: LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 7.8.2024 (8 Sa 18/24)