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Anm. zu LAG Rheinland-Pfalz: Inlandsbezug des Betriebsbegriffs nach dem KSchG

Kündigungsschutzgesetz

Das LAG Rheinland-Pfalz hat mit Urteil vom 2.9.2025 (4 SLa 200/24) entschieden, dass bei der Ermittlung der Beschäftigtenanzahl nach § 23 Abs. 1 KSchG regelmäßig nur auf Betriebsangehörige im Inland abzustellen ist (Entscheidungszusammenfassung mit Praxishinweisen der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB).

Sachverhalt:

Der Kläger ist seit 1994 in der technischen Beratung der Beklagten beschäftigt, die Fertigungsstoffe für die Produktion von Fliesen und Kacheln vertreibt. Den Bereich Fliesen und Kacheln überführt sie im Jahr 2001 auf einen spanischen Unternehmenszweig und schließt den Standort in Deutschland. Der Kläger bleibt als einziger inländischer Arbeitnehmer innerhalb dieser Sparte zurück und arbeitet aus dem Homeoffice weiter. Zudem besucht er Kunden gemeinsam mit spanischen Kollegen und wird zwei bis dreimal im Jahr, teils wochenweise, im spanischen Labor eingesetzt. Er berichtet an seinen Vorgesetzten in Spanien, mit dem er ebenfalls seinen Urlaub abstimmt und den er über krankheitsbedingte Fehlzeiten informiert. Im Jahr 2024 kündigt die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis. 

Der Kläger erhebt Kündigungsschutzklage. Er nimmt die Anwendbarkeit des KSchG auf sein Arbeitsverhältnis in Anspruch und rügt die fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung. Zur Begründung führt er an, dass ihm der Kündigungsschutz wegen Unterschreitung der Schwellenwerte in § 23 KSchG nicht versagt werden könne, weil hierin eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung liege. Würde er nämlich nicht aus dem Homeoffice, sondern in Spanien gearbeitet haben, hätte ihm eine Abfindung von bis zu 24 Monatsverdiensten nach spanischem Recht zugestanden. Das Arbeitsgericht erster Instanz weist die Klage ab.

Entscheidungsgründe:

Auch Berufung des Klägers vor dem LAG Rheinland-Pfalz  (LAG) hatte keinen Erfolg. Der Kläger, so die erkennende Kammer, könne keinen allgemeinen Kündigungsschutz nach dem ersten Abschnitt des KSchG für sein Arbeitsverhältnis beanspruchen. Dies komme mangels überschrittenen Schwellenwertes nach § 23 Abs. 1 KSchG nicht in Betracht. Für die maßgebliche Beschäftigtenzahl sei nur auf Betriebsangehörige im (deutschen) Inland abzustellen. Übereinstimmend sei vorgetragen, dass zuletzt außer dem Kläger kein weiterer Inlandsbeschäftigter in der Sparte Fliesen und Kacheln vorhanden gewesen sei.

Einer verfassungskonformen Auslegung des § 23 Abs. 1 KSchG unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG sowie der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG (i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) mit der Folge, dass neben dem Kläger auch die in Spanien tätigen Beklagtenbeschäftigten in die Schwellenwertbemessung einbezogen würden, sei vorliegend nicht geboten. Zwar erkenne das BVerfG in der Schwellenwertbestimmung nach dem KSchG einen verfassungsrechtlich nach Art. 12 Abs. 1 (i.V.m. Art. 2 Abs. 1) GG und Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden Interessenausgleich, der dem in kleineren Beschäftigungseinheiten typischerweise erhöhten arbeitgeberseitigen Schutzbedürfnis angesichts der mit weniger Arbeitskräften und höherer personeller Anfälligkeit angestrebten Geschäftserfolge Rechnung trage. Eine verfassungskonforme Neuauslegung könne allerdings von vornherein nur bei Einheiten größerer Unternehmen herangezogen werden, um sachfremde Ergebnisse zu vermeiden. Soweit Betriebsleitungen im Ausland ansässig seien, müsse daher im Gebiet der Bundesrepublik jedoch die ausreichende Zahl an Arbeitnehmern nach deutschem Recht beschäftigt werden. Der Fall des Klägers sei hierdurch gerade nicht gekennzeichnet. Die Arbeitsverhältnisse der in Spanien tätigen Beschäftigten der Beklagten seien nicht nach deutschem Recht geregelt und daher für den Schwellenwert des § 23 KSchG irrelevant.

Die Revision zum BAG ließ das LAG nicht zu.

Hinweis für die Praxis:

Das Urteil des LAG Rheinland-Pfalz verdeutlicht, dass deutsches Recht grundsätzlich nur auf deutschem Boden gilt (Territorialitätsprinzip). Für die Schwellenwertberechnung nach § 23 Abs. 1 KSchG sind daher im Regelfall nur inländische Beschäftigte maßgeblich. Allein der Umstand, dass Führungsstrukturen im Ausland bestehen, eröffnet den Anwendungsbereich des KSchG nicht. 

Auch eine Behauptung dahingehend, dass der Arbeitgeber seine grenzüberschreitende Organisationsstruktur bewusst auf die Vermeidung deutschen Kündigungsrechts ausgerichtet habe, hätte den Kläger übrigens nicht geholfen. Denn der Arbeitgeber verfügt nun einmal über einen grundrechtlich verbrieften Gestaltungsspielraum dahingehend, wie viele Mitarbeiter er in Deutschland beschäftigen will. Ungeachtet dieser Freiheit sollten Unternehmen, die grenzüberschreitend und häufig auch in Form von Matrixstrukturen organisiert sind, ihre organisatorische Ausgestaltung auch kündigungsrechtlich im Auge behalten und auf neue Entwicklungen in der Rechtsprechung achten.

Autorin: Dr. Sabine Schröter, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Frankfurt am Main

Quelle: LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 2.9.2025 (4 SLa 200/24)