Anm. zu SG Neubrandenburg: Sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung eines Gesellschafter-Geschäftsführers

Sozialversicherungspflicht

Das SG Neubrandenburg hatte in seinem Gerichtsbescheid vom 10.9.2024 (S 7 BA 7/23) über die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung eines Geschäftsführers einer GmbH, der an dieser als Gesellschafter i.H.v. 50 % beteiligt ist, zu entscheiden. Danach ist der Gesellschafter-Geschäftsführer in einem solchen Fall nur dann selbständig, wenn ihm gegenüber dem anderen Gesellschafter ein im Gesellschaftsvertrag verankertes Stichentscheidsrecht zusteht. (Entscheidungszusammenfassung mit Praxishinweisen der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB).

Sachverhalt:

Die Parteien streiten über den sozialversicherungsrechtlichen Status des Klägers, soweit es um seine Tätigkeit als Geschäftsführer der Beigeladenen geht. Der Kläger ist ausweislich des Gesellschaftsvertrages neben einer weiteren Person zu 50% als Gesellschafter an der Beigeladenen beteiligt. Der Gesellschaftsvertrag sieht unter anderem vor, dass sämtliche Gesellschafterbeschlüsse mit einer Mehrheit von mehr als 50% der abgegebenen Stimmen der anwesenden bzw. vertretenen Gesellschafter gefasst werden. Mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 14.3.2023 wurde der Kläger mit Wirkung vom gleichen Tage zum Geschäftsführer der Beigeladenen bestellt; die Einzelheiten dieser Tätigkeit sind in seinem Dienstvertrag geregelt. Die Beklagte prüfte beim Kläger auf Grund dessen Anmeldung zur Sozialversicherung als Gesellschafter-Geschäftsführer der Beigeladenen seinen Erwerbsstatus und stellte insoweit mit Bescheid vom 17.4.2023 das Bestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ab dem 14.3.2023 fest. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage blieb ohne Erfolg.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten. Zur Begründung seiner Entscheidung zitiert das SG Neubrandenburg zunächst umfassend die aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur statusrechtlichen Zuordnung eines Gesellschafter-Geschäftsführers. Nach diesen Maßgaben sei vorliegend von einer abhängigen Beschäftigung des Klägers gegenüber der Beigeladenen auszugehen. Zwar halte der Kläger sowie der weitere Gesellschafter einen Anteil von 50% des Stammkapitals, so dass sich beide bei der Beschlussfassung jederzeit gegenseitig blockieren könnten. Eine solche Pattsituation würde jedoch nur für eine bloße Verhinderungsmacht des Klägers sprechen, nicht aber für eine umfassende Gestaltungsmacht im Sinne einer Mitbestimmung der gesamten Unternehmenspolitik, die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für die Annahme einer Selbstständigkeit erforderlich sei. Insbesondere sei im Gesellschaftsvertrag für den Fall der Stimmengleichheit keinerlei Stichentscheidsrecht geregelt. Die Kammer weist darauf hin, dass im Gesellschaftsvertrag per notarieller Beurkundung eine solche Stichentscheidsregelung im Nachhinein aufgenommen werden könne. Allerdings komme es wegen des auch hier geltenden Grundsatzes der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände und dem damit einhergehenden Transparenzgebot auf deren Eintragung in das Handelsregister an; eine ex-tunc-Wirkung der ggf. beabsichtigten Änderung des Gesellschaftsvertrages scheide damit aus. Die Annahme von abhängiger Beschäftigung des Klägers auf Grund der Rechtsmachtverhältnisse werde zudem auch durch die Ausgestaltung des Dienstvertrages des Klägers bestätigt, der für eine abhängige Tätigkeit typische Regelungen enthält.

Hinweis für die Praxis:

Dieser singulären Entscheidung des SG Neubrandenburg kann nicht gefolgt werden. Sie widerspricht den klaren Vorgaben des BSG (vgl. etwa BSG v. 1.2.2022, B 12 KR 37/19 R). Die Tätigkeit des Klägers ist vorliegend richtigerweise als selbständig einzustufen. Der Kläger ist zum Geschäftsführer der Gesellschaft bestellt und kann auf Grund seiner Beteiligung am Stammkapital i.H.v. 50% etwaige Weisungen der Gesellschafterversammlung an sich stets verhindern. Das ist und bleibt im Grundsatz der maßgebliche Anknüpfungspunkt. Bei der sozialversicherungsrechtlichen Statusbeurteilung von Gesellschafter-Geschäftsführern sollte in der Praxis unbedingt und ausschließlich der – zutreffende – Maßstab der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Grunde gelegt werden. Ein Stichentscheidungsrecht ist deshalb keinesfalls erforderlich, um in derartigen Fallkonstellationen eine selbständige Tätigkeit annehmen zu können.

Autor: Rechtsanwalt Dr. Felix Häringer, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg

Quelle: SG Neubrandenburg, Gerichtsbescheid vom 10.9.2024 (S 7 BA 7/23)