BAG zur Anpassung der Vergütung bei Aufstockung von Teilzeit auf Vollzeit

Teilzeit- und Befristungsgesetz

BAG, Urteil vom 13.12.2023, 5 AZR 168/23
Verfahrensgang: ArbG Düsseldorf, 15 Ca 884/22 vom 09.11.2022
LAG Düsseldorf, 12 Sa 20/23 vom 19.04.2023

Leitsatz:

Orientierungssätze:

1. § 9 TzBfG regelt nicht die Höhe der Arbeitsvergütung bei einer Verlängerung der Arbeitszeit. Deren Anpassung obliegt vielmehr grundsätzlich der Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien (Rn. 14, 19).

2. Kommt es nicht zu einer vertraglichen Neuregelung des Arbeitsentgelts, bedarf es der Anpassung der auf die Teilzeitbeschäftigung zugeschnittenen, durch die Aufstockung auf Vollzeit lückenhaft gewordenen Vergütungsvereinbarung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung. Sofern keine anderweitigen Anhaltspunkte vorliegen, ist regelmäßig davon auszugehen, dass redliche Vertragspartner bei der Aufstockung von Teilzeit auf Vollzeit zum Zeitpunkt der Verlängerung der Arbeitszeit zumindest eine quotal dem Umfang der Erhöhung der Arbeitszeit entsprechende Erhöhung der Vergütung vereinbart hätten (Rn. 20 f.).

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Höhe einer Zulage nach Aufstockung der Arbeitszeit der Klägerin auf Vollzeit.

Die Klägerin war von April 1998 bis Juni 2007 bei der Beklagten in deren Krankenhaus als Diplom-Physikingenieurin in der Strahlentherapie beschäftigt. Anschließend wechselte sie mit gleicher Tätigkeit zu einem anderen Arbeitgeber, bei dem sie zuletzt in Teilzeit (50 %) eingesetzt war. Zum 1. Mai 2014 begründeten die Parteien erneut ein Arbeitsverhältnis, in dem die Klägerin als Diplom-Physikingenieurin in der Strahlentherapie mit der Hälfte der Arbeitszeit einer Vollbeschäftigten arbeiten sollte. Arbeitsvertraglich wurde die Geltung des Bundes-Angestellten-Tarifvertrags in kirchlicher Fassung (BAT-KF) und eine Vergütung nach dessen Entgeltgruppe 14 vereinbart. Darüber hinaus erhält die Klägerin - im schriftlichen Arbeitsvertrag nicht festgehalten - seit Beginn des Arbeitsverhältnisses monatlich 250,00 Euro brutto, die in den Gehaltsabrechnungen als "Leistungszulage" ausgewiesen werden. Damit sollte die Differenz zwischen der von der Klägerin bei ihrem vorherigen Arbeitgeber erzielten Monatsvergütung und derjenigen, welche die Beklagte ihr bei Anwendung des BAT-KF für eine entsprechende Teilzeitbeschäftigung anbieten konnte, ausgeglichen werden. Ohne einen solchen Ausgleich war die Klägerin nicht bereit, zur Beklagten zurückzukehren.

Im Jahr 2020 äußerte die Klägerin den Wunsch, ihre Arbeitszeit auf Vollzeit mit tariflich vorgesehenen 38,5 Wochenstunden aufzustocken. Dies lehnte die Beklagte zunächst ab. Nachdem die Klägerin im Februar 2022 eine auf § 9 TzBfG gestützte Klage erhoben hatte, einigten sich die Parteien außergerichtlich auf eine Erhöhung der Arbeitszeit auf Vollzeit ab dem 1. Mai 2022. Seither vergütet die Beklagte die Klägerin auf der Basis einer Vollzeittätigkeit nach dem BAT-KF, lehnte aber deren Verlangen, die Zulage von 250,00 Euro brutto auf 500,00 Euro brutto monatlich zu erhöhen, ab.

Die Klägerin hat geltend gemacht, die ihr seit Beginn des Arbeitsverhältnisses gewährte Zulage sei als Vergütungsbestandteil ab dem 1. Mai 2022 aufgrund des nunmehr bestehenden Vollzeitarbeitsverhältnisses auf 500,00 Euro brutto zu erhöhen.

Sie hat in den Tatsacheninstanzen zuletzt sinngemäß beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ab dem 1. Mai 2022 eine Leistungszulage nicht nur iHv. 250,00 Euro brutto, sondern iHv. 500,00 Euro brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und im Wesentlichen gemeint, bei der streitgegenständlichen Zulage handele es sich nicht um einen im Zusammenhang mit der Arbeitszeit der Klägerin stehenden Vergütungsbestandteil, sondern - anknüpfend an die konkrete Situation bei der Einstellung - um eine monatliche Pauschale zu Abwerbungszwecken.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben und entsprechend dem Leistungsantrag der Klägerin, den es in den Entscheidungsgründen als Feststellungsantrag ausgelegt hat, tenoriert. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während die Klägerin die Zurückweisung der Revision mit der Maßgabe beantragt, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 1. Mai 2022 monatlich eine Leistungszulage nicht nur iHv. 250,00 Euro brutto, sondern iHv. 500,00 Euro brutto zu zahlen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung der Klägerin gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Die Beklagte ist verpflichtet, die der Klägerin gewährte Zulage ab der Aufstockung der Arbeitszeit auf Vollzeit von monatlich 250,00 Euro brutto auf 500,00 Euro brutto zu erhöhen. Lediglich das Versehen des Landesarbeitsgerichts bei der Tenorierung ist zu korrigieren.

I. Die Klage ist zulässig.

1. Das Landesarbeitsgericht hat das in den Vorinstanzen in einen Leistungsantrag gekleidete Klagebegehren der Klägerin zu Recht und mit zutreffender Begründung als Feststellungsantrag ausgelegt (zur Auslegung prozessualer Willenserklärungen vgl. BAG 25. November 2021 - 8 AZR 226/20 - Rn. 26 mwN). Die Klägerin ist dem nicht nur nicht entgegengetreten, sondern hat mit ihrem in der Revisionsinstanz gestellten Antrag bestätigt, dass die Auslegung ihres Klageantrags als Feststellungsantrag ihrem wohlverstandenen Interesse entspricht.

2. Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht angenommen, der so ausgelegte Antrag sei hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (sh. dazu BAG 18. März 2020 - 5 AZR 25/19 - Rn. 14 mwN, st. Rspr.) und es bestehe das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Denn mit der Feststellungsklage kann der Streit der Parteien über die Höhe der Zulage insgesamt beseitigt und das Rechtsverhältnis der Parteien insoweit abschließend geklärt werden (zur Feststellung einer Zahlungspflicht sh. BAG 19. Februar 2020 - 5 AZR 180/18 - Rn. 11; 14. März 2019 - 6 AZR 339/18 - Rn. 20). Die Klägerin war auch nicht gehalten, ihren Klageantrag in einen Leistungsantrag für die im Laufe des Rechtsstreits fällig gewordenen und einen Feststellungsantrag für die noch nicht fälligen Ansprüche aufzuspalten (vgl. BAG 14. Oktober 2021 - 8 AZR 96/20 - Rn. 18 mwN, BAGE 176, 69).

II. Die Klage ist begründet. Seit der Aufstockung ihrer Arbeitszeit auf Vollzeit hat die Klägerin Anspruch auf eine der Erhöhung des Umfangs ihrer Arbeitszeit quotal entsprechenden Erhöhung der vereinbarten Vergütung. Zu dieser gehört auch die im schriftlichen Arbeitsvertrag nicht festgehaltene, aber von den Parteien mündlich vereinbarte und von der Beklagten seit Beginn des Arbeitsverhältnisses gezahlte Zulage.

1. Der Anspruch auf Anpassung der vereinbarten Vergütung an die Aufstockung der Arbeitszeit folgt allerdings entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht aus § 9 TzBfG.

Wie § 8 TzBfG bei der Verringerung, enthält auch § 9 TzBfG bei der Verlängerung der Arbeitszeit keine Regelungen zum Schicksal der Gegenleistung (hM, vgl. ErfK/Preis 24. Aufl. TzBfG §§ 8, 9a Rn. 10, § 9 Rn. 9; MüKoBGB/MüllerGlöge 9. Aufl. TzBfG § 8 Rn. 14, § 9 Rn. 12; BeckOK ArbR/Bayreuther Stand 1. Dezember 2023 TzBfG § 8 Rn. 26a, § 9 Rn. 13; HK-TzBfG/Boecken 6. Aufl. § 8 Rn. 166 f., § 9 Rn. 33; Sievers TzBfG 7. Aufl. § 8 Rn. 76 ff., § 9 Rn. 45; sh. auch HWK/Rennpferdt 10. Aufl. § 8 TzBfG Rn. 51). Weil der Gesetzgeber in § 9 TzBfG davon abgesehen hat, bei der Besetzung eines Vollzeitarbeitsplatzes durch einen Teilzeitarbeitnehmer eine alle Arbeitsbedingungen umfassende Anpassungsregelung vorzunehmen (BAG 8. Mai 2007 - 9 AZR 874/06 - Rn. 27, BAGE 122, 235), kommt eine den eindeutigen Wortlaut übersteigende Auslegung dieser Norm, wie sie das Landesarbeitsgericht vorgenommen hat, nicht in Betracht. Sowohl bei der Verkürzung der Arbeitszeit als auch bei deren Verlängerung überlässt das Gesetz die Folgen für die Gegenleistung der Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien. Lediglich zum Schutz der teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer untersagt es - entsprechend den unionsrechtlichen Vorgaben durch die Richtlinie 97/81/EG - deren Diskriminierung (auch) bei der Vergütung, indem den Teilzeitbeschäftigten in § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG ein dem Pro-rata-temporisGrundsatz entsprechender Anspruch auf Vergütung eingeräumt wird (vgl. BAG 18. Januar 2023 - 5 AZR 108/22 - Rn. 15 mwN, Rn. 27).

2. Trotz dieses Rechtsfehlers kann der Senat endentscheiden, weil sich das Berufungsurteil aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 561 ZPO). Die festzustellende Verpflichtung der Beklagten zur Erhöhung der streitgegenständlichen Zulage ergibt sich im Wege der (ergänzenden) Auslegung aus den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen der Parteien.

a) Die Zulage ist Teil der von der Beklagten der Klägerin für deren Arbeitsleistung nach § 611a Abs. 2 BGB geschuldeten Vergütung.

aa) Die Auslegung der mündlichen Vereinbarung, die die Parteien außerhalb des schriftlichen Arbeitsvertrags anlässlich der Begründung des auf Teilzeitbeschäftigung gerichteten Arbeitsverhältnisses getroffen haben, durch das Landesarbeitsgericht ist zwar unvollständig geblieben. Der Senat darf aber auch bei nichttypischen Willenserklärungen die Auslegung selbst vornehmen oder ergänzen, wenn das Landesarbeitsgericht - wie hier - den erforderlichen Sachverhalt vollständig festgestellt hat und kein weiteres tatsächliches Vorbringen der Parteien zu erwarten ist (vgl. BAG 29. März 2023 - 5 AZR 55/19 - Rn. 44 mwN).

bb) Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 559 Abs. 2 ZPO) verständigten sich die Parteien bei den Verhandlungen über eine erneute Einstellung mündlich darauf, der Klägerin die bei bloßer Vergütung nach dem BAT-KF entstehende Differenz zu dem beim vorherigen Arbeitgeber erzielten Gehalt auszugleichen. Somit handelt es sich bei der streitgegenständlichen Zulage um einen im synallagmatischen Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stehenden Vergütungsbestandteil, der rechtlich als eine statische übertarifliche Zulage einzuordnen ist. Daran ändert die von der Revision vorgenommene Etikettierung der Zulage als "Pauschale zu Abwerbungszwecken" nichts. Denn die "Abwerbung" der Klägerin von ihrem vorherigen Arbeitgeber war allenfalls das Motiv für die Bereitschaft der Beklagten, der Klägerin eine höhere Vergütung zu zahlen, als nach dem von der Beklagten angewendeten Tarifvertrag für die Tätigkeit der Klägerin vorgesehen war. Um die Klägerin (erneut) für ein Arbeitsverhältnis zu gewinnen, hat die Beklagte ihr - trotz der im schriftlichen Arbeitsvertrag formularmäßig vereinbarten Geltung des BAT-KF - de facto eine übertarifliche Vergütung versprochen und gezahlt. Dies bestätigt letztlich die Beklagte selbst, wenn sie - damals noch nicht anwaltlich vertreten - in ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 8. April 2022, der vom Landesarbeitsgericht im Tatbestand des Berufungsurteils mit in Bezug genommen wurde, ausführt, die streitgegenständliche Zulage sei "als außertarifliche Zulage schlicht zur Abbildung einer bestimmten Gehaltsvorstellung, welche nicht über den Tarif abgebildet werden konnte, zugesagt".

b) Mit der Aufstockung auf Vollzeit gerät das auf die bisherige Teilzeitbeschäftigung zugeschnittene Synallagma von Leistung und Gegenleistung außer Balance und bedarf der Neujustierung. Diese obliegt zuvörderst den Arbeitsvertragsparteien. Dementsprechend hat die Beklagte der Klägerin unstreitig einen neuen, auf die Vollzeitbeschäftigung zugeschnittenen schriftlichen Arbeitsvertrag angeboten. Diesen nahm die Klägerin aber nicht an, weil ihr die Erhöhung der streitgegenständlichen Zulage fehlte.

c) Können sich wie im Streitfall die Arbeitsvertragsparteien bei der Aufstockung der Arbeitszeit auf Vollzeit über die dafür geschuldete Vergütung nicht einigen, wird der auf die bisherige Teilzeitarbeit zugeschnittene Arbeitsvertrag insoweit lückenhaft. Weil das Schicksal der Vergütung bei Aufstockung von Teilzeit auf Vollzeit nicht gesetzlich geregelt ist (oben Rn. 14), kann die Lücke nicht durch dispositives Recht geschlossen werden (zur vorrangigen Schließung von Regelungslücken in Verträgen durch dispositives Gesetzesrecht sh. BGH 20. Juni 2023 - XI ZR 116/22 - Rn. 15 mwN). Es bedarf daher der Anpassung der Vergütung für den erhöhten zeitlichen Umfang der Arbeitsleistung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (im Ergebnis ebenso MüKoBGB/Müller-Glöge 9. Aufl. TzBfG § 9 Rn. 12; abw. Sievers TzBfG 7. Aufl. § 9 Rn. 45, der auf § 612 BGB zurückgreifen will). Für diese ist maßgeblich, was die Parteien für einen solchen Fall bei einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vereinbart hätten (st. Rspr., vgl. nur BAG 18. Oktober 2023 - 5 AZR 22/23 - Rn. 24 mwN).

Entsprechend der im Arbeitsleben herrschenden Anschauung und durchweg geübten Praxis, die Höhe der Vergütung auch am zeitlichen Umfang der Arbeitsleistung zu bemessen, hätten redliche Vertragspartner bei der Aufstockung von Teilzeit auf Vollzeit zumindest eine quotal dem Umfang der Erhöhung der Arbeitszeit entsprechende Erhöhung der Vergütung vereinbart. Anhaltspunkte für ein von den Parteien gewolltes "Abweichen vom Üblichen" liegen nicht vor. Vielmehr hat die Beklagte entsprechend der im Arbeitsleben gängigen Praxis in dem von ihr entworfenen und der Klägerin für die Vollzeitbeschäftigung angebotenen neuen Arbeitsvertrag eine dem Umfang der Erhöhung der Arbeitszeit entsprechende quotale Erhöhung der Vergütung vorgesehen. Sie hat dabei lediglich verkannt, dass auch die streitgegenständliche Zulage ein Vergütungsbestandteil ist.