BFH: Ablehnung eines Terminverlegungsantrags

Finanzgerichtsordnung

BFH, Beschluss vom 27.08.2024, VIII B 74/23
Verfahrensgang: FG München, 8 K 1670/20 vom 07.08.2023

Leitsatz:

1. NV: Wird ein Terminaufhebungs- oder -verlegungsantrag schriftlich oder per E-Mail gestellt, ist er nicht formunwirksam, wenn er nicht über das besondere elektronische Steuerberaterpostfach beim Gericht eingereicht wird (Bestätigung Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 23.04.2024 - VIII B 31/23, BFH/NV 2024, 767).

2. NV: Auch bei wiederholten Anträgen auf Terminverlegung aus gesundheitlichen Gründen kann die Ankündigung des Gerichts, bei weiteren Anträgen im Rahmen der Glaubhaftmachung nur noch eine amtsärztliche Begutachtung zu akzeptieren, unverhältnismäßig sein, wenn der weitere Terminverlegungsantrag auf eine neue unvorhersehbare Erkrankung (hier: Verletzungen aufgrund eines Sturzes) gestützt wird.

Gründe:

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wandten sich im finanzgerichtlichen Verfahren gegen Änderungsbescheide zur Einkommensteuer 2016 und 2017, die im Anschluss an eine steuerliche Außenprüfung sowie eine Steuerfahndungsprüfung ergangen waren, sowie gegen die Festsetzung von Verspätungszuschlägen zur Einkommensteuer 2016 und 2017. Der Kläger ist Steuerberater und trat zugleich als Vertreter der Klägerin auf.

Mit E-Mail vom 16.05.2023 teilte der Kläger dem Finanzgericht (FG) mit, er könne den auf den 12.06.2023 bestimmten Termin zur mündlichen Verhandlung aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrnehmen. Er legte hierzu eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, die die Arbeitsunfähigkeit des Klägers vom 06.06.2023 bis zum 21.07.2023 bescheinigte. Das FG verlegte daraufhin den Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 17.07.2023.

Mit am 22.06.2023 beim FG eingegangenen Schriftsatz führte der Kläger aus, er sei unter anderem aufgrund sehr hohen Blutdrucks mit akuter Infarktgefahr und plötzlichen Schwindelattacken derzeit bettlägerig und könne keine Termine zusagen. Ergänzend legte der Kläger ein ärztliches Attest vom 12.06.2023 vor, aus dem sich ergibt, dass der Kläger an einer akuten Exacerbation einer bereits längerfristig bestehenden Erkrankung leide und er aufgrund der akuten Beschwerdelast aus ärztlicher Sicht für den attestierten Zeitraum nicht vorladungsfähig sei. Mit E-Mail vom 14.07.2023 bat der Kläger unter Hinweis auf seine gesundheitliche Belastung aufgrund hohen Blutdrucks, die dem FG bereits vorliegende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und die aktuelle Hitzebelastung um Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung am 17.07.2023. Das FG verlegte den Termin daraufhin auf den 07.08.2023.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 20.07.2023 wies das FG den Kläger darauf hin, dass mit einer erneuten Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung nach gegenwärtigem Stand nicht zu rechnen sei. Bereits mehrfach sei auf die Obliegenheit zur Terminvorsorge hingewiesen worden. Soweit gesundheitliche Beeinträchtigungen mit Auswirkungen auf die Verhandlungs- und/oder Reisefähigkeit bezogen auf den Termin zur mündlichen Verhandlung am 07.08.2023 geltend gemacht werden sollten, werde zur Vorlage eines amtsärztlichen Attests aufgefordert.

Mit E-Mail vom 25.07.2023 an die Präsidentin des FG, die an die zuständige Berichterstatterin weitergeleitet wurde, bat der Kläger erneut um Terminverlegung. Zur Begründung führte er aus, er sei vor kurzem gestürzt und habe sich dabei eine Bänderzerrung im Sprunggelenk mit knöchernem Ausriss zugezogen. Der Kläger fügte ein ärztliches Schreiben vom 21.07.2023 bei, in dem bestätigt wird, dass der Kläger aufgrund eines Sturzes eine immobilisierende Verletzung erlitten habe und vom 21.07.2023 bis 25.08.2023 nicht vorladungsfähig sei. Beigefügt war außerdem ein Rezept für einen "Bort Air Walker", eine Orthese zur Ruhigstellung des Fußes, auf dem als Diagnose ein "knöcherner Ausriss am rechten Sprunggelenk" angegeben war. Mit E-Mail und Fax vom 06.08.2023 wiederholte der Kläger seinen Terminverlegungsantrag.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 07.08.2023 erschien für die Klägerseite niemand. Das FG hat die Klage abgewiesen und hierzu im Urteil unter anderem ausgeführt, der Termin zur mündlichen Verhandlung habe nicht verlegt werden müssen. Die Terminverlegungsanträge seien nur mit einfacher E-Mail beziehungsweise mit Telefax und damit nicht formwirksam nach § 52d Satz 2 i.V.m. § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestellt worden. Selbst wenn man von formwirksamen Anträgen ausgehe, wären diese nicht begründet, da es an der Glaubhaftmachung eines erheblichen Grundes fehle. Das FG sei von einer Prozessverschleppungsabsicht beziehungsweise von erheblichen Mitwirkungspflichtverletzungen der Kläger überzeugt. Der Kläger habe außerdem die aufgrund seiner länger andauernden gesundheitlichen Beeinträchtigung gebotene Terminvorsorge in Form der Beauftragung eines Vertreters unterlassen und entgegen der gerichtlichen Auflage auch kein amtsärztliches Attest vorgelegt.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügen die Kläger unter anderem die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör.

II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 116 Abs. 6 FGO).

1. Das FG hat den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO und Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt, indem es am 07.08.2023 in Abwesenheit der Kläger mündlich verhandelt und auf der Grundlage dieser mündlichen Verhandlung in der Sache entschieden hat, obwohl die Kläger gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung (ZPO) am 25.07.2023 und 06.08.2023 formwirksame Terminänderungsanträge gestellt hatten, die das FG zu Unrecht abgelehnt hat. Das FG hat die Ablehnung der Anträge auf Terminverlegung kumulativ mit der Formunwirksamkeit des "Antrags" einerseits und der fehlenden Glaubhaftmachung eines Verhinderungsgrundes andererseits begründet. Beide Begründungen tragen die Ablehnung der Anträge nicht.

a) Einem Verfahrensbeteiligten wird das rechtliche Gehör versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und in der Sache entscheidet, obwohl der Beteiligte einen wirksamen Antrag auf Terminverlegung gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend und glaubhaft gemacht hat (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO). Zu diesen erheblichen Gründen gehört auch die krankheitsbedingte Verhinderung eines sich selbst vertretenden Klägers, der zugleich als Prozessbevollmächtigter für einen weiteren Beteiligten auftritt (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21.04.2023 - VIII B 144/22, BFH/NV 2023, 859, Rz 4).

b) Die Kläger haben die Anträge auf Terminänderung am 25.07.2023 und 06.08.2023 per E-Mail und Telefax formwirksam gestellt. Die Einreichung als elektronisches Dokument über das besondere elektronische Steuerberaterpostfach gemäß § 52d Satz 2 i.V.m. § 52a FGO war nicht erforderlich.

aa) Nach § 52d Satz 1 FGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Gleiches gilt nach § 52d Satz 2 FGO für die nach diesem Gesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht. Zum Personenkreis des § 52d Satz 2 FGO gehört auch der Kläger, der zugleich als Prozessbevollmächtigter der Klägerin aufgetreten ist.

bb) Wie der Senat bereits entschieden hat, ist der Antrag auf Terminänderung kein vorbereitender Schriftsatz im Sinne von § 52d Satz 1 FGO, der als elektronisches Dokument zu übermitteln ist (BFH-Beschluss vom 23.04.2024 - VIII B 31/23, BFH/NV 2024, 767, Rz 11). Es handelt sich auch nicht um einen schriftlich einzureichenden Antrag im Sinne von § 52d Satz 1 i.V.m. § 52a FGO, denn § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 ZPO normiert kein Schriftformerfordernis. Ein solcher Antrag muss daher nicht schriftlich eingereicht werden, sondern kann zum Beispiel auch telefonisch --oder wie im Streitfall per E-Mail-- gestellt werden (vgl. BFH-Beschluss vom 23.04.2024 - VIII B 31/23, BFH/NV 2024, 767, Rz 11, m.w.N.). Es kann auch offenbleiben, ob der Gesetzgeber in den sachlichen Anwendungsbereich von § 52d Satz 1 FGO Terminänderungsanträge fassen wollte. Wie der Senat bereits entschieden hat, verbietet die ausdrückliche Aufzählung der "schriftlich einzureichenden" Erklärungen und Anträge in § 52d FGO jedenfalls ein Normverständnis, wonach ein Antrag wie der Terminänderungsantrag, der grundsätzlich auch telefonisch gestellt werden kann, § 52d Satz 1 FGO dann unterfällt, wenn der gestellte Antrag, wie hier per Telefax vom 06.08.2023, schriftlich gestellt wird. Eine Gleichsetzung von "schriftlich einzureichenden" Anträgen mit "schriftlich eingereichten" Anträgen ist im Wege der Auslegung nicht möglich (BFH-Beschluss vom 23.04.2024 - VIII B 31/23, BFH/NV 2024, 767, Rz 14).

cc) Die Frage, ob bestimmende Schriftsätze von der Pflicht zur elektronischen Übermittlung nach § 52d FGO erfasst sind (vgl. hierzu das beim BFH anhängige Revisionsverfahren VI R 13/23), ist im Streitfall nicht zu klären, da der Terminänderungsantrag auch kein bestimmender Schriftsatz ist (vgl. BFH-Beschluss vom 23.04.2024 - VIII B 31/23, BFH/NV 2024, 767, Rz 13).

c) Im Streitfall war aufgrund der Anträge des Klägers die Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung am 07.08.2023 geboten.

aa) Liegen erhebliche Gründe im Sinne des § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO vor, verdichtet sich die in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessensfreiheit zu einer Rechtspflicht, das heißt der Termin muss zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits durch die Verlegung verzögert wird. Welche Gründe als erheblich im Sinne von § 227 Abs. 1 ZPO anzusehen sind, richtet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls. Der Prozessstoff und die persönlichen Verhältnisse des betroffenen Beteiligten und gegebenenfalls seines Prozessbevollmächtigten sind bei der Prüfung ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass das FG im steuergerichtlichen Verfahren die einzige Tatsacheninstanz ist und die Beteiligten ein Recht darauf haben, ihre Sache in einer mündlichen Verhandlung vorzutragen. Allerdings kann die Ablehnung einer Terminänderung trotz Vorliegens erheblicher Gründe ermessensgerecht sein, wenn offenkundig Prozessverschleppungsabsicht vorliegt oder wenn der Kläger seine prozessualen Mitwirkungspflichten in anderer Weise erheblich verletzt hat (BFH-Beschluss vom 16.06.2020 - VIII B 151/19, BFHE 268, 534, BStBl II 2020, 715, Rz 9).

bb) Bei Anwendung dieser Grundsätze hat das FG die Terminänderungsanträge des Klägers zu Unrecht abgelehnt. Die durch ärztliches Attest vom 21.07.2023 bescheinigte Erkrankung und daraus folgende Immobilität und Verhandlungsunfähigkeit des Klägers aufgrund seines Sturzes stellen einen erheblichen Grund im Sinne von § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO für eine Terminverlegung dar. Die vom FG angeführten Gründe vermögen die Ablehnung der Terminänderung nicht zu rechtfertigen. Zwar hat der Kläger nach den Feststellungen des FG seine Mitwirkungspflichten im finanzgerichtlichen Verfahren verletzt und trotz seiner länger andauernden gesundheitlichen Beeinträchtigungen keine Vorsorge durch die Beauftragung eines Vertreters betrieben. Im Vergleich zu der noch mit Attest vom 12.06.2023 bescheinigten Verhandlungsunfähigkeit aufgrund einer längerfristig bestehenden Erkrankung stellen aber der Sturz und die dadurch bewirkte Immobilität und Verhandlungsunfähigkeit ein neues Ereignis dar, für das der Kläger mangels Vorhersehbarkeit keine Vorsorge hätte treffen können.

Auch der Umstand, dass der Kläger entgegen der gerichtlichen Auflage ein amtsärztliches Attest nicht vorgelegt hat, vermag die Ablehnung der Terminänderung nicht zu rechtfertigen. Die Aufforderung zur Vorlage eines amtsärztlichen Attests war nicht geboten. Zwar hatte der Kläger nach den Feststellungen des FG trotz seiner ärztlich bescheinigten Verhandlungsunfähigkeit am 21.06.2023 an einem Termin im steuerstrafrechtlichen Verfahren vor dem Landgericht Regensburg teilgenommen. Entgegen der Auffassung des FG begründet dieser Umstand aber keine Zweifel an dem Vorliegen einer Verhandlungsunfähigkeit in dem (neu) attestierten Zeitraum vom 21.07. bis 25.08.2023, da die (erneute) Verhandlungsunfähigkeit nicht mehr auf der langjährigen Erkrankung des Klägers (insbesondere Bluthochdruck) beruhte, sondern auf dem für den Kläger unvorhersehbaren Sturzereignis und den daraus resultierenden Verletzungen. Vor diesem Hintergrund war die Einforderung einer amtsärztlichen Begutachtung jedenfalls für diesen neuen Schadensfall unverhältnismäßig. Die Mutmaßungen des FG, dass sich der Kläger zur mündlichen Verhandlung auch hätte fahren lassen können und dass das vom Kläger vorgelegte Rezept eine Vorrichtung zur Unterstützung beim Gehen zum Gegenstand hatte, weshalb der Kläger den Termin zur mündlichen Verhandlung hätte wahrnehmen können, vermögen ebenfalls keine Zweifel an der ärztlich attestierten Verhandlungsunfähigkeit des Klägers zu begründen. Ein Arzt ist in Bezug auf die Verhandlungsfähigkeit sachkompetenter als ein Richter.

2. Das FG-Urteil ist als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen (§ 119 Nr. 3 FGO). Hat das FG einen Terminverlegungsantrag verfahrensfehlerhaft abgelehnt und führt es gleichwohl die mündliche Verhandlung in Abwesenheit des Antragstellers durch, betrifft dieser Mangel das Gesamtergebnis des Verfahrens (vgl. BFH-Beschluss vom 21.04.2023 - VIII B 144/22, BFH/NV 2023, 859, Rz 7).

3. Der Senat hält es für geboten, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO).