BFH: Festsetzung von Prozesszinsen anstelle festgesetzter Erstattungszinsen
Verfahrensrecht / Einkommensteuer
BFH, Urteil vom 12.03.2024, VIII R 10/20
Verfahrensgang: FG München, 2 K 787/18 vom 01.04.2019
Leitsatz:
NV: Über die Steuerpflicht von im Veranlagungszeitraum zugeflossenen Zinsen (Prozesszinsen/Erstattungszinsen) wird ohne Bindung an den Zinsbescheid im Einkommensteuerbescheid entschieden. Dort ist auch --ebenfalls ohne Bindung an den Zinsbescheid-- zu entscheiden, welche Art von Zinsen zugeflossen ist, wenn es für die Besteuerung darauf ankommt.
Gründe:
I. Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) einen Anspruch auf Festsetzung von Prozesszinsen zur Einkommensteuer 1999 hat.
Die Klägerin führte zur Einkommensteuerfestsetzung 1999 ein finanzgerichtliches Klageverfahren mit dem Aktenzeichen 5 K 1062/14, das am 16.04.2014 rechtshängig wurde. Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt --FA--) dem Klagebegehren mit Bescheid vom 05.08.2016 abgeholfen hatte, erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit vor dem Finanzgericht (FG) in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt. Das FA zahlte die sich aus dem Abhilfebescheid ergebende Einkommensteuererstattung in Höhe von ... € am 05.08.2016 an die Klägerin aus.
Das FA setzte mit Bescheid vom 05.08.2016 auch Erstattungszinsen zur Einkommensteuer 1999 gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO) für den Zeitraum vom 01.04.2001 bis zum 08.08.2016 fest und zahlte Erstattungszinsen in Höhe von insgesamt ... € an die Klägerin aus.
Den Antrag der Klägerin vom 14.12.2017, Prozesszinsen gemäß § 236 AO zur Einkommensteuer 1999 für den Zeitraum vom Tag der Rechtshängigkeit der Klage bis zur Auszahlung der Einkommensteuererstattung festzusetzen, lehnte das FA mit Bescheid vom 22.12.2017 ab. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies es als unbegründet zurück. Das FG wies die Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2020, 970 mitgeteilten Gründen als unbegründet ab.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Bundesrechts sowie Verfahrensfehler des FG.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des FG München vom 01.04.2020 - 2 K 787/18 aufzuheben und Prozesszinsen zur Einkommensteuer 1999 in Höhe von ... € sowie die Anrechnung von Erstattungszinsen gemäß § 233a AO auf diese Prozesszinsen in gleicher Höhe festzusetzen (§ 236 Abs. 4 AO).
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Das Urteil des FG verletzt zwar Bundesrecht (§ 118 FGO), soweit es die Klage als zulässig angesehen und als unbegründet anstatt als unzulässig abgewiesen hat. Es hat aber Bestand, weil die Abweisung der Klage im Ergebnis richtig ist. Die Revision ist nach § 126 Abs. 4 FGO mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Klage unzulässig ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 07.05.2013 - VIII R 17/09, BFH/NV 2013, 1581, Rz 11, m.w.N.).
2. Die Klage ist unzulässig, da die Klägerin durch die Ablehnung des Erlasses der begehrten Zinsfestsetzung nicht in ihren Rechten verletzt sein kann (§ 40 Abs. 2 FGO). Das Vorliegen dieser Sachentscheidungsvoraussetzung hat der BFH auch ohne Verfahrensrüge von Amts wegen zu prüfen (BFH-Urteil vom 27.09.1994 - VIII R 36/89, BFHE 176, 289, BStBl II 1995, 353, unter C.II.2. [Rz 31], m.w.N.).
a) Die Klägerin begehrt im Wege der Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1 Alternative 2 FGO) die Festsetzung von Prozesszinsen zur Einkommensteuer 1999 in der geltend gemachten Höhe sowie die Anrechnung der für denselben Verzinsungszeitraum bereits festgesetzten Erstattungszinsen auf diese Prozesszinsen in gleicher Höhe in dem aus ihrer Sicht zu erlassenden Zinsbescheid. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für das Entstehen von Prozesszinsen nach § 236 Abs. 1 AO im streitigen Zeitraum vom 16.04.2014 (Tag der Rechtshängigkeit der Klage gegen die Einkommensteuerfestsetzung) bis 05.08.2016 (Tag der Auszahlung des Einkommensteuerguthabens) in Höhe von ... € liegen nach den Feststellungen des FG vor und sind zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig.
b) Gemäß § 40 Abs. 2 FGO ist eine Verpflichtungsklage, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger geltend machen kann, durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts in seinen Rechten verletzt zu sein.
Die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 FGO sind erfüllt, wenn das Klagevorbringen es zumindest als möglich erscheinen lässt, dass die angefochtene Entscheidung eigene subjektiv-öffentliche Rechte des Klägers verletzt. Begehrt der Kläger den Erlass eines gebundenen Verwaltungsakts, kommt es grundsätzlich darauf an, ob er einen Anspruch auf den Erlass des Verwaltungsakts hat. Hat der begehrte Verwaltungsakt keinen begünstigenden Inhalt, kann sich die Klagebefugnis für die Verpflichtungsklage ausnahmsweise auch daraus ergeben, dass in ihm angesetzte Besteuerungsgrundlagen im Rahmen anderer Verfahren verbindliche Entscheidungsvorgaben liefern (vgl. zur Anfechtungssituation BFH-Urteile vom 08.06.2011 - I R 79/10, BFHE 234, 101, BStBl II 2012, 421, Rz 10; vom 10.03.2020 - IX R 24/19, BFH/NV 2020, 873, Rz 28; vgl. zur Verpflichtungsklage auf einen Nullbescheid BFH-Urteil vom 17.02.1998 - VIII R 21/95, BFH/NV 1998, 1356, unter 2. und 3. [Rz 13, 14]). An der Klagebefugnis fehlt es, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Kläger geltend gemachten Rechte bestehen, ihm zustehen oder verletzt sein können (vgl. BFH-Urteil vom 25.11.2015 - I R 85/13, BFHE 252, 217, BStBl II 2016, 479, Rz 15, m.w.N.).
c) Bei Anwendung dieser Grundsätze kann die Klägerin nicht mit Erfolg geltend machen, durch die Ablehnung der Festsetzung von Prozesszinsen in ihren Rechten verletzt zu sein.
aa) Die Klägerin macht bereits eine Verletzung ihres materiell-rechtlichen Anspruchs auf Verzinsung nach §§ 233a AO ff. nicht geltend. Wie zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig ist, sind die der Klägerin wegen der Veranlagung zur Einkommensteuer 1999 insgesamt zustehenden Erstattungszinsen in zutreffender Höhe festgesetzt und vollständig an die Klägerin ausgezahlt worden. Auf die Art der Zinsen kommt es insofern nicht an, da die Erstattungszinsen und die Prozesszinsen im maßgeblichen Zeitraum gleich hoch waren und die Erstattungszinsen auf die Prozesszinsen anzurechnen sind. Es kann im Streitfall durch die begehrte Festsetzung der Prozesszinsen nicht zu einer höheren Zinsfestsetzung kommen. Davon geht auch die Klägerin aus. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Anrechnung der Erstattungszinsen gemäß § 236 Abs. 4 AO auf der Festsetzungs- oder --wie die Klägerin meint-- auf der Erhebungsebene zu erfolgen hätte (zur Gesamtbetrachtung von Festsetzungs- und Erhebungsebene im Rahmen der Beschwer BFH-Urteil vom 19.07.1994 - VIII R 58/92, BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362, unter I.3. [Rz 52]).
bb) Eine Beschwer der Klägerin ergibt sich auch nicht daraus, dass die mit der Klage begehrte Festsetzung von Prozesszinsen (zum Teil anstelle bisher festgesetzter Erstattungszinsen) verbindliche Entscheidungsvorgaben hinsichtlich der Art der Zinsen für die streitige Besteuerung der Zinsen im Jahr des Zuflusses liefern würde.
Das Interesse der Klägerin geht dahin, ihre verfahrensrechtliche Situation im Hinblick auf die Besteuerung der ihr zugeflossenen Zinsen zu verbessern. Denn nach Auffassung der Klägerin unterfallen Prozesszinsen anders als Erstattungszinsen nicht § 20 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und sind nicht steuerbar. Mit der begehrten Festsetzung von Prozesszinsen möchte die Klägerin vermeiden, dass ihr eine Bindungswirkung des Zinsbescheids hinsichtlich der Art der festgesetzten Zinsen als Erstattungszinsen bei der Veranlagung zur Einkommensteuer entgegen gehalten und eine Steuerpflicht der Zinsen auf § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG gestützt wird.
Aus diesen Gründen kann die Klägerin aber keine Beschwer ableiten. Die begehrte Festsetzung von Prozesszinsen anstelle von Erstattungszinsen im Zinsbescheid entfaltet in Bezug auf die Art der Zinsen keine Bindungswirkung für die Beurteilung der Steuerpflicht der Zinsen im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer. Der Zinsbescheid ist kein Grundlagenbescheid für die einkommensteuerliche Behandlung der Zinsen, da der Gesetzgeber eine solche Bindung nicht gesetzlich geregelt hat (zu diesem Erfordernis Beschluss des Großen Senats des BFH vom 11.04.2005 - GrS 2/02, BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679, unter C.4.a [Rz 37]; BFH-Urteil vom 11.07.2023 - I R 21/20, BFHE 281, 424, Rz 20). Bindungswirkung entfaltet vielmehr umgekehrt die Einkommensteuerfestsetzung als Grundlagenbescheid hinsichtlich der Höhe der festgesetzten Steuer für die Zinsfestsetzung (vgl. BFH-Urteil vom 13.12.2022 - VIII R 16/19, BFHE 278, 414, Rz 20). Über die Steuerpflicht von im Veranlagungszeitraum zugeflossenen Zinsen wird deshalb ohne Bindung an den Zinsbescheid im Einkommensteuerbescheid entschieden. Dort ist auch --ebenfalls ohne Bindung an den Zinsbescheid-- zu entscheiden, welche Art von Zinsen zugeflossen ist, wenn es für die Besteuerung darauf ankommt (vgl. BFH-Urteil vom 10.11.2004 - XI R 30/04, BFHE 208, 194, BStBl II 2005, 274, unter II.2.c [Rz 16]).
3. Ob dem FG die von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel unterlaufen sind, kann offenbleiben, da das Urteil nicht auf diesen Verfahrensmängeln beruhen kann (BFH-Urteile vom 07.05.2013 - VIII R 17/09, BFH/NV 2013, 1581, Rz 11; vom 07.07.2017 - V B 168/16, BFH/NV 2017, 1445, Rz 20, m.w.N.; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 119 Rz 3).