BFH: Sachverständige Schätzung der Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach Maßgabe der betreffenden ImmoWertV
Einkommensteuer
BFH, Urteil vom 23.01.2024, IX R 14/23
Verfahrensgang: FG Köln, 6 K 1506/17 vom 20.10.2022
Leitsatz:
1. Der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) jeder sachverständigen Methode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint (Anschluss an Senatsurteil vom 28.07.2021 - IX R 25/19, Rz 19; z.T. entgegen Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 22.02.2023, BStBl I 2023, 332, Rz 24).
2. Der schlichte Verweis durch den Steuerpflichtigen auf die modellhaft ermittelte Gesamt- und Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach Maßgabe der betreffenden Immobilienwertermittlungsverordnung genügt nicht, um eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer im Sinne von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG darzulegen und nachzuweisen.
3. Der kapitalisierte Wert eines lebenslangen, fortbestehenden Nießbrauchsrechts an einem Grundstück ist nicht Bestandteil der Anschaffungskosten des Grundstücks, wenn der Nießbraucher das Eigentum am belasteten Grundstück erwirbt.
Gründe:
I. Der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) war aufgrund eines Erbvertrags vom ... mit ihrem im Jahr ... verstorbenen Lebensgefährten (L) vermächtnishalber der lebenslange Nießbrauch an einem vermieteten Grundstück eingeräumt worden. Das Nießbrauchsrecht wurde nicht ins Grundbuch eingetragen. Auf dem Grundstück befinden sich ein im Jahr 1970 errichtetes Bürogebäude mit Betriebswohnungen und eine Lagerhalle. Die Anschaffungskosten waren fremdfinanziert.
Erben des L und damit Eigentümer des Grundstücks nach dessen Tod wurden dessen Söhne (S 1 und S 2). Die Klägerin hatte sich im Erbvertrag verpflichtet, die zum Zeitpunkt des Anfalls des Vermächtnisses noch bestehenden Verbindlichkeiten, die auf dem Grundstück lasteten, zu übernehmen.
Im ... 2013 veräußerte S 1 seinen Miteigentumsanteil an dem Grundstück für 150.000 € an die Klägerin.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2014 machte die Klägerin bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung für die auf die Gebäude entfallenden Anschaffungskosten, die sie seinerzeit mit 122.704 € angab, Absetzungen für Abnutzung (AfA) von 20.451 € geltend. Sie ging davon aus, dass die tatsächliche Nutzungsdauer der Gebäude nur noch sechs Jahre betrage.
Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) veranlagte die Klägerin zunächst erklärungsgemäß, erließ zu späterer Zeit aber einen geänderten Einkommensteuerbescheid, in dem er nur noch AfA in Höhe des typisierten festen Satzes von 2 % (= 2.455 €) anerkannte (§ 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes --EStG-- in der im Streitjahr geltenden Fassung).
Während des Einspruchsverfahrens änderte das FA die Einkommensteuerfestsetzung zu Gunsten der Klägerin aus vorliegend nicht streitigen Gründen. Im Übrigen wies es den Einspruch zurück.
Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin weiterhin, AfA nach Maßgabe einer tatsächlich kürzeren --50 Jahre unterschreitenden-- Nutzungsdauer der Gebäude gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG abzuziehen. Das Finanzgericht (FG) erhob hierzu Beweis und holte das Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Wertermittlung von bebauten und unbebauten Grundstücken ein. Der Sachverständige ermittelte in seinem Gutachten vom 14.07.2020 nach Maßgabe von § 6 Abs. 6 der Immobilienwertermittlungsverordnung in der seinerzeit geltenden Fassung vom 19.05.2010 --ImmoWertV 2010-- (BGBl I 2010, 639) und Anlage 4 (Modell zur Ableitung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer für Wohngebäude unter Berücksichtigung von Modernisierungen) der Sachwertrichtlinie (SW-RL) vom 05.09.2012 (Bundesanzeiger, Amtlicher Teil, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Veröffentlichungsdatum 18.10.2012 B1) für das Gesamtobjekt eine gewichtete tatsächliche Restnutzungsdauer von 19 Jahren.
Im Klageverfahren machte die Klägerin darüber hinaus erstmals geltend, dass die AfA-Bemessungsgrundlage zu erhöhen sei. Mit dem Erwerb des hälftigen Miteigentums sei insoweit ihr Nießbrauchsrecht untergegangen. Der Wert dieses Rechtsverlusts sei Bestandteil ihrer Anschaffungskosten gewesen.
Das FG gab der Klage statt. Es meinte, der Wert des seiner Ansicht nach untergegangenen Nießbrauchsrechts gehöre zu den Anschaffungskosten. Der kapitalisierte Wert jenes Rechts sei --bezogen auf den hälftigen Miteigentumsanteil-- mit 332.400 € anzusetzen, sodass die gesamten Anschaffungskosten 496.996 € betragen hätten. Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG lägen vor. Der Sachverständige sei nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass die Anschaffungskosten auf nur 19 Jahre zu verteilen seien. Bei einem Anteil von 55 % für den Gebäudeanteil (hierauf hatten sich die Beteiligten im Klageverfahren verständigt) seien --wie von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung beantragt-- AfA von 14.387 € abziehbar.
Mit seiner Revision vertritt das FA die Ansicht, das FG habe rechtsfehlerhaft den Wert des Nießbrauchsrechts als Bestandteil der Anschaffungskosten angesehen. Das angefochtene Urteil verletze Bundesrecht auch insoweit, als es die Voraussetzungen von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG für einschlägig gehalten habe. Das Sachverständigengutachten sei nicht geeignet, eine kürzere als die gesetzlich typisierende Nutzungsdauer zu begründen. Aus dem Gutachten ließen sich die für eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer maßgeblichen Determinanten nicht ableiten.
Das FA beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Das FG habe den Wert des Nießbrauchsrechts zutreffend den Anschaffungskosten zugewiesen. Das Recht sei für sie, die Klägerin, geldwert gewesen und habe hingegeben werden müssen, um die unbelastete Grundstückshälfte zu erwerben. Das Sachverständigengutachten entspreche den Vorgaben des Senatsurteils vom 28.07.2021 - IX R 25/19. Das FG habe das Gutachten rechtsfehlerfrei gewürdigt.
II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, und die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Die Vorinstanz hat zwar frei von Rechtsfehlern entschieden, dass die AfA nach Maßgabe der tatsächlichen Nutzungsdauer der Gebäude vorgenommen werden können (dazu unten 1.). Allerdings verletzt das FG-Urteil Bundesrecht, als es den kapitalisierten Wert des auf den erworbenen Miteigentumsanteil entfallenden Nießbrauchsrechts als Anschaffungskosten gewertet und in die AfA-Bemessungsgrundlage einbezogen hat (unten 2.). Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils, da der Senat auf Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht befinden kann, ob sich die Entscheidung aus anderen Gründen als richtig darstellt (unten 3.). Die nicht spruchreife Sache geht an die Vorinstanz zurück (unten 4.).
1. Die Entscheidung des FG, die Gebäude-AfA nicht über 50 Jahre, sondern gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG über nur 19 Jahre zu verteilen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Bei Gebäuden sind als AfA grundsätzlich die in § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG genannten festen Prozentsätze von den Anschaffungskosten abzuziehen. Den Prozentsätzen liegt jeweils eine typisierte Nutzungsdauer zugrunde, die mit der tatsächlichen Nutzungsdauer im Erwerbszeitpunkt nichts gemein haben muss (vgl. Pfirrmann in Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl., § 7 Rz 88).
Nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung können anstelle der Absetzungen nach Satz 1 der Vorschrift die der tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes entsprechenden AfA vorgenommen werden. Nutzungsdauer im gesetzlichen Sinne ist der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann (§ 11c Abs. 1 Satz 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung --EStDV--).
aa) § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG räumt dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht ein ("können"), ob er sich mit dem typisierten festen AfA-Satz nach Satz 1 der Vorschrift zufriedengibt oder eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer geltend macht (Senatsurteil vom 28.07.2021 - IX R 25/19, Rz 20, m.w.N.).
Die Nutzungsdauer wird bestimmt durch den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können. Auszugehen ist zunächst von der technischen Nutzungsdauer, also dem Zeitraum, in dem sich das Wirtschaftsgut technisch abnutzt (verschleißt). Sofern allerdings die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer als die technische ist, kann sich der Steuerpflichtige hierauf berufen (z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18.09.2003 - X R 54/01, BFH/NV 2004, 474, unter II.3.a; vom 04.03.2008 - IX R 16/07, BFH/NV 2008, 1310, unter II.1. sowie Senatsurteil vom 28.07.2021 - IX R 25/19, Rz 17, jeweils m.w.N.).
bb) Die Darlegungs- und Feststellungslast für eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer trägt der Steuerpflichtige (statt vieler Anzinger in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 7 EStG Rz 306). Die Nutzungsdauer ist zu schätzen. Eine solche Schätzung verlangt nach allgemeinen Grundsätzen keine Gewissheit, sondern vielmehr nur größtmögliche Wahrscheinlichkeit (so bereits BFH-Urteil vom 28.09.1971 - VIII R 73/68, BFHE 103, 468, BStBl II 1972, 176). Die Schätzung ist nur dann zu verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt (Senatsurteil vom 28.07.2021 - IX R 25/19, Rz 20). Die Würdigung der Schätzungsgrundlagen obliegt im Klageverfahren dem FG als Tatsacheninstanz (Senatsurteil vom 28.10.2008 - IX R 16/08, BFH/NV 2009, 899, unter II.1.b).
cc) Der erkennende Senat hat bereits entschieden, dass sich der Steuerpflichtige zur Darlegung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer jeder sachverständigen Methode bedienen kann, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Die gewählte Methode muss über die maßgeblichen Determinanten der Nutzungsdauer --zum Beispiel technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Nutzungsbeschränkungen-- Aufschluss geben. Gerade wegen des Umstands, dass für die Richtigkeit der zu schätzenden Nutzungsdauer nur eine größtmögliche Wahrscheinlichkeit sprechen muss, würde die Feststellungslast des Steuerpflichtigen überspannt, wenn der Schätzung eine bestimmte Gutachtenmethodik (zum Beispiel Bausubstanzgutachten) oder ein bestimmtes Ermittlungsverfahren zwingend zugrunde liegen müsste. Demzufolge hat der Senat ausdrücklich anerkannt, dass auch eine Gutachtenmethode, durch die die Restnutzungsdauer eines Gebäudes modellhaft wirtschaftlich bestimmt wird, als Nachweis für die Inanspruchnahme des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG genügen kann (Senatsurteil vom 28.07.2021 - IX R 25/19, Rz 19 ff.).
dd) An diesen Rechtsgrundsätzen, die in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum geteilt werden (vgl. etwa FG Köln, Urteil vom 23.03.2022 - 6 K 923/20, Rz 18 f.; FG Münster, Urteile vom 27.01.2022 - 1 K 1741/18 E, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2022, 580, Rz 33 ff. sowie vom 14.02.2023 - 1 K 3840/19 F, EFG 2023, 528, Rz 32 ff.; Brandis/Heuermann/Brandis, § 7 EStG Rz 521 f.; Schmidt/Kulosa, EStG, 42. Aufl., § 7 Rz 208; Pfirrmann in Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl., § 7 Rz 89; Geiling/Jacoby, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2022, 1080; Geurts, Betriebs-Berater 2023, 882; Grotherr, Finanz-Rundschau 2022, 965, 968 f.; Lücke, Neue Wirtschafts-Briefe --NWB-- 2023, 1236, 1241 f.), hält der Senat fest.
aaa) Die weitergehenden Anforderungen und Einschränkungen, die die Finanzverwaltung in Rz 23 f. des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 22.02.2023 (BStBl I 2023, 332) für den Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer durch Sachverständigengutachten aufstellt, lassen sich dem Gesetz jedenfalls nicht in Gänze entnehmen. Weder § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG noch § 11c Abs. 1 Satz 1 EStDV geben vor, auf welche Weise und anhand welcher Gutachtenmethode der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann, zu schätzen ist. Bereits aus diesem Grund ist die Anweisung des BMF in Rz 24 seines Schreibens, die "bloße Übernahme" einer Restnutzungsdauer aus einem Verkehrswertgutachten reiche als Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer nicht aus, nicht tragfähig. Insbesondere die sachverständige Ermittlung der Restnutzungsdauer gemäß § 6 Abs. 6 ImmoWertV 2010 (inzwischen § 4 Abs. 3 der Immobilienwertermittlungsverordnung vom 14.07.2021 --ImmoWertV 2021--, BGBl I 2021 2805) ist eine gutachterlich anerkannte Schätzungsmethode (Brandis/Heuermann/Brandis, § 7 EStG Rz 522; Graw, juris PraxisReport Steuerrecht 5/2022, Anm. 3), die ohne eine gesetzliche Anordnung für steuerrechtliche Schätzungen nicht ausgeschlossen werden kann.
bbb) Zudem ist der Einwand, die nach den Vorgaben der betreffenden Immobilienwertermittlungsverordnung im Rahmen einer Verkehrswertermittlung ermittelte Gesamtnutzungs- und Restnutzungsdauer eines Gebäudes führten für Zwecke des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht zu "sachgerechten Ergebnissen" (BMF-Schreiben vom 22.02.2023, BStBl I 2023, 332, Rz 24), unbelegt. Er berücksichtigt insbesondere nicht, dass trotz einer im Kern modellhaften --sachverständigen-- Berechnung der Nutzungsdauer die tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalls einbezogen werden (Blum/Weiss, Die Steuerliche Betriebsprüfung 2020, 3, 7). So regelt § 6 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 ImmoWertV 2010, dass durchgeführte Instandsetzungen oder Modernisierungen oder unterlassene Instandhaltungen oder andere Gegebenheiten --mithin individuelle Gegebenheiten-- die Restnutzungsdauer verlängern oder verkürzen können. Anlage 4 SW-RL (inzwischen Anlage 2 zu § 12 Abs. 5 Satz 1 ImmoWertV 2021) bestimmt über ein Punkteraster-Verfahren, in welchem Umfang die jeweiligen Modernisierungselemente die Restnutzungsdauer abhängig von der Gesamtnutzungsdauer modifizieren. Es handelt sich um eine typisierende Vorgehensweise (Grotherr, Steuern und Bilanzen 2023, 457, 460), die einer steuerrechtlichen Schätzung nicht fremd ist.
ccc) Ein auf die Vorgaben der betreffenden Immobilienwertermittlungsverordnung gestütztes Sachverständigengutachten ist auch geeignet, Aufschluss über die für die tatsächliche Nutzungsdauer maßgeblichen Determinanten zu geben (ebenso Lücke, NWB 2023, 1236, 1241). § 6 Abs. 6 Satz 1 ImmoWertV 2010 (= § 4 Abs. 3 Satz 1 ImmoWertV 2021) ordnet eine wirtschaftliche Bestimmung der Restnutzungsdauer an, stellt somit nicht auf den technischen Verschleiß eines Gebäudes ab. Es wäre indes verfehlt zu fordern, dass sich ein Sachverständigengutachten zu sämtlichen für die Restnutzungsdauer maßgeblichen Determinanten verhalten müsste. Begründet der Steuerpflichtige die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer mit einer wirtschaftlichen Abnutzung oder einer auf rechtlichen Gegebenheiten beruhenden früheren Entwertung, bedarf es keiner sachverständigen Feststellungen zum technischen Verschleiß des Gebäudes, da die kürzere wirtschaftliche oder rechtliche Nutzungsdauer entweder nur bedingt oder zumeist gar nicht vom technischen Gebäudezustand abhängig ist (Korn/Strahl, NWB 2023, 3412, 3434 f.).
ddd) Der Senat weist vorsorglich klarstellend darauf hin, dass seine Ausführungen in der Entscheidung vom 28.07.2021 - IX R 25/19 (dort Rz 20 ff.) nicht dahingehend zu verstehen sind, der Steuerpflichtige könne allein durch eine schlichte Bezugnahme auf die modellhaft ermittelte Gesamt- sowie Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach Maßgabe der betreffenden Immobilienwertermittlungsverordnung eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer im Sinne von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG darlegen und nachweisen (so aber Geiling/Jacoby, DStR 2022, 1080, 1082). Vielmehr bedarf es für die Schätzung der Nutzungsdauer einer sachverständigen Begutachtung, die sich insbesondere zu den individuellen Gegebenheiten des Objekts (zum Beispiel durchgeführte oder unterlassene Instandsetzungen oder Modernisierungen, vgl. § 4 Abs. 3 Satz 2 ImmoWertV 2021) verhält. Dies belegt bereits Anlage 2 zu § 12 Abs. 5 Satz 1 ImmoWertV 2021, wonach der Modernisierungsgrad des Wertermittlungsobjekts einer "sachverständigen Einschätzung" zu unterziehen ist (dort I.2.).
b) Nach diesen Maßstäben ist die Würdigung der Vorinstanz, die im gerichtlichen Sachverständigengutachten nachvollziehbar ermittelte Restnutzungsdauer der Gebäude von 19 Jahren sei als kürzere tatsächliche Nutzungsdauer gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigen, nicht zu beanstanden.
aa) Das FG hat zutreffend angeführt, es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gutachter --ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für die Bewertung von Grundstücken-- mit der von ihm nach Maßgabe von § 6 Abs. 6 ImmoWertV 2010 und Anlage 4 SW-RL berechneten Restnutzungsdauer der Gebäude den nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG angemessenen Schätzungsrahmen verlassen habe. Der Gutachter hat eine wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer für das Bürogebäude (einschließlich Wohnungen) von 70 Jahren und für die Lagergebäude von 50 Jahren zugrunde gelegt und festgestellt, dass Modernisierungen, die nach § 6 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 ImmoWertV 2010 zu berücksichtigen wären, bis zum Zeitpunkt des Erwerbs durch die Klägerin nicht durchgeführt worden seien. Unter Berücksichtigung dieses Umstands und des Punkterasters in Anlage 4 SW-RL ergab sich eine modifizierte Restnutzungsdauer des Bürogebäudes (einschließlich Wohnungen) von 27 Jahren sowie der Lagergebäude von 10 Jahren und eine wirtschaftlich gemittelte Restnutzungsdauer für beide Gebäude von 19 Jahren. Gegen diese vom FG festgestellten Tatsachen hat das FA keine Einwendungen erhoben, sodass sie den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO binden.
bb) Auf den vom FA vermissten Nachweis des technischen Verschleißes einzelner Bauteile kommt es --wie vom FG zu Recht gewürdigt-- aus oben genannten Erwägungen nicht an. Die Schätzung, dass die Gebäude vor Ablauf der typisierten Nutzungsdauer gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG und vor Ablauf einer längeren technischen Nutzbarkeit objektiv wirtschaftlich verbraucht (entwertet) sind, wurde durch das gerichtliche Sachverständigengutachten belegt.
2. Die angefochtene Entscheidung ist allerdings insoweit rechtsfehlerhaft, als das FG den Wert des Nießbrauchsrechts, der auf den von S 1 erworbenen Miteigentumsanteil an dem Grundstück entfällt, als Anschaffungskosten angesehen und im Umfang des Gebäudeanteils in die AfA-Bemessungsgrundlage einbezogen hat. Hierfür besteht keine Rechtsgrundlage.
a) Bemessungsgrundlage für die AfA sind die Anschaffungs- oder Herstellungskosten der zur Einkünfteerzielung genutzten Gebäude (§ 7 Abs. 4 und 5 EStG). Welche Aufwendungen hierzu zählen, bestimmt sich auch für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach § 255 des Handelsgesetzbuchs --HGB-- (Senatsurteile vom 20.09.2022 - IX R 29/21, BFHE 278, 193, BStBl II 2023, 1087, Rz 11, m.w.N. sowie vom 15.11.2022 - IX R 14/20, BFHE 278, 532, BStBl II 2023, 374, Rz 19).
aa) Die im Streitfall allein in Betracht kommenden Anschaffungskosten sind gemäß § 255 Abs. 1 Satz 1 HGB definiert als Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und ihn in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen, soweit sie dem Vermögensgegenstand einzeln zugeordnet werden können. Der grundsätzlich weit zu fassende Begriff der Anschaffungskosten enthält --unter Ausschluss der Gemeinkosten-- alle mit dem Anschaffungsvorgang verbundenen Kosten, somit neben der Entrichtung des Kaufpreises alle sonstigen Aufwendungen des Erwerbers, die in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Anschaffung stehen, insbesondere zwangsläufig im Gefolge der Anschaffung anfallen (BFH-Urteil vom 14.12.2011 - I R 108/10, BFHE 236, 117, BStBl II 2012, 238, Rz 29, m.w.N.).
bb) Tatbestandlich setzen Anschaffungskosten Aufwendungen des Steuerpflichtigen voraus (BFH-Urteil vom 22.05.2019 - XI R 44/17, BFHE 265, 124, BStBl II 2020, 44, Rz 17). Dies erfordert eine wirtschaftliche Belastung. Eine solche ist ausgeschlossen bei fehlender Gegenleistungspflicht (vgl. in diesem Sinne Senatsurteil vom 03.05.2022 - IX R 7/21, BFHE 277, 158, BStBl II 2023, 104, Rz 26).
b) Nach diesen Grundsätzen zählt der kapitalisierte Wert des auf den erworbenen Miteigentumsanteil entfallenden Nießbrauchsrechts nicht zu den Anschaffungskosten.
aa) Die Klägerin hat in Bezug auf dieses Nießbrauchsrecht keinen mit dem Eigentumserwerb in Zusammenhang stehenden Aufwand getragen. Sie hat dieses Recht nicht hingegeben, um den Miteigentumsanteil an dem Grundstück unbelastet zu erwerben. Vielmehr blieb die Klägerin trotz Eigentumserwerbs Inhaberin des Nießbrauchsrechts. Dies ergibt sich aus § 889 Alternative 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), wonach ein Recht an einem fremden Grundstück --hier das Nießbrauchsrecht-- nicht dadurch erlischt, dass der Berechtigte --hier die Klägerin-- das Eigentum an dem Grundstück erwirbt. Das Nießbrauchsrecht besteht als Eigentumsrecht des (neuen) Eigentümers fort (Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 14.07.2011 - V ZB 271/10, BGHZ 190, 267, Rz 7, m.w.N.). Abweichend zur Ansicht des FG gilt § 889 BGB auch, wenn das Recht --wie im Streitfall-- nicht ins Grundbuch eingetragen wurde (allgemeine Ansicht, s. MüKoBGB/Lettmaier, 9. Aufl., § 889 Rz 3; Erman/Artz, BGB, 17. Aufl., § 889 Rz 2; Staudinger/Picker (2019) BGB § 889 Rz 5). Anschaffungskosten entstehen nur, wenn der Eigentümer das einem Dritten zustehende Recht an einem Grundstück zum Zweck einer Beseitigung der Beschränkungen seiner Eigentümerbefugnisse entgeltlich ablöst (Senatsurteil vom 10.12.2019 - IX R 19/19, BFHE 267, 246, BStBl II 2020, 452, Rz 17, m.w.N.). So lagen die Dinge im Streitfall nicht.
bb) Die vom FG vergleichsweise angeführte Konstellation, in der der Eigentümer zunächst gegenüber dem Nießbraucher dessen Nießbrauchsrecht entgeltlich abgelöst hätte, sodass dieser im Stande gewesen wäre, einen entsprechend höheren Kaufpreis für den Eigentumserwerb zu zahlen, rechtfertigt bereits deshalb kein anderes Ergebnis, da die Vertragsbeteiligten eine solche Vereinbarung offensichtlich nicht erwogen haben. Sie hätte auch nicht den rechtlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten entsprochen.
3. Das Urteil ist aufgrund des vorgenannten Rechtsfehlers aufzuheben. Die vom FG getroffenen Feststellungen lassen es nicht zu, die angefochtene Entscheidung, durch die der Klägerin AfA von 14.387 € zugesprochen wurden, gemäß § 126 Abs. 4 FGO aus anderen Gründen als richtig anzusehen.
a) Die Vorentscheidung beinhaltet insoweit einen Rechtsfehler zu Lasten der Klägerin, als nicht berücksichtigt wurde, dass die Klägerin bereits im Jahr ... durch die erbvertraglich geregelte Übernahme von Verbindlichkeiten Anschaffungskosten für das Nießbrauchsrecht aufgewandt hatte, die für das Streitjahr im Wege der AfA als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung anzusetzen gewesen wären.
aa) Ein Vermächtnisnießbraucher kann zwar keine AfA auf die vom früheren Eigentümer und Erblasser getragenen Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Gebäudes in Anspruch nehmen. Diese Kosten sind nicht dem Nießbraucher, sondern dem Erben als Gesamtrechtsnachfolger zuzurechnen. Der Nießbraucher kann vom Erben nur die Einräumung eines dinglichen Nutzungsrechts verlangen (allgemeine Ansicht, vgl. Senatsurteil vom 28.09.1993 - IX R 156/88, BFHE 172, 439, BStBl II 1994, 319, unter 1.b und c; BMF-Schreiben vom 30.09.2013, BStBl I 2013, 1184, Rz 32; HHR/Anzinger, § 7 EStG Rz 116).
bb) Hiervon abzugrenzen ist der Fall, dass ein Nießbraucher für sein Nutzungsrecht eine Gegenleistung zu erbringen hat. So hat der Senat für einen Zuwendungsnießbrauch an einem vermieteten Grundstück entschieden, dass der Nießbraucher zwar nicht auf das Gebäude, wohl aber auf das entgeltlich erworbene Nießbrauchsrecht AfA nach § 7 Abs. 1 EStG vorzunehmen hat, die nach der Dauer des Nießbrauchs zu verteilen sind (Senatsurteil vom 26.11.1996 - IX R 33/94, BFH/NV 1997, 643, unter 3.a). Gleiches gilt, wenn ein solcher Nießbrauch teilentgeltlich eingeräumt wird (Senatsurteil vom 24.01.1995 - IX R 40/92, BFH/NV 1995, 770, unter 2.a). Soweit die Finanzverwaltung abweichend zur Rechtsprechung inzwischen die Ansicht vertritt, die Zahlungen des Nießbrauchers seien unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Satz 3 EStG periodisiert zu verteilen, beachtet sie nicht, dass der Aufwand keine Ausgabe "für eine Nutzungsüberlassung" ist. Vielmehr erwirbt der Nießbraucher ein immaterielles Wirtschaftsgut "Nießbrauchsrecht", dessen Anschaffungskosten nach den vorrangigen Regelungen in § 7 Abs. 1 EStG zu verteilen sind (zutreffend Schmidt/Kulosa, EStG, 42. Aufl., § 7 Rz 73; HHR/Anzinger, § 7 EStG Rz 113; Brandis/Heuermann/Brandis, § 7 EStG Rz 180).
cc) Nach diesen --sinngemäß auch für einen Vermächtnisnießbrauch geltenden-- Rechtsgrundsätzen hätte das FG berücksichtigen müssen, dass die Klägerin nach Maßgabe des festgestellten Erbvertrags vom ... verpflichtet gewesen war, etwaige zum Zeitpunkt des Vermächtnisanfalls zu Lasten des Grundstücks eingetragene Grundpfandrechte einschließlich der zugrunde liegenden Verbindlichkeiten zu übernehmen. Nur die Übernahme von Zinsen, nicht aber die der den Zinsen zugrunde liegenden Darlehensverbindlichkeit, gehört zur gesetzlichen Lastentragung des Nießbrauchers gemäß § 1047 BGB (vgl. MüKoBGB/Pohlmann, 9. Aufl., § 1047 Rz 14; Staudinger/Heinze (2021) BGB § 1047 Rz 14; FG Köln, Urteil vom 27.01.2016 - 7 K 2894/14, EFG 2016, 581, Rz 25). Die Verpflichtung, dies dennoch zu tun und damit die Erben nach L von der Tilgung des Darlehens freizustellen, löste bei der Klägerin Anschaffungskosten für das Nießbrauchsrecht aus.
b) Das FG hat allerdings keine Feststellungen zur Höhe der übernommenen Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt der Erfüllung des Vermächtnisses getroffen. Der Senat kann somit nicht entscheiden, in welcher Höhe der Klägerin insoweit für das Streitjahr AfA zustünden.
4. a) Im Hinblick darauf, dass die Einkünfteerzielung durch die Klägerin sowohl durch das zunächst erworbene Nießbrauchsrecht als auch durch das später von S 1 erworbene Miteigentum an der Immobilie getragen ist, wird die Vorinstanz im zweiten Rechtsgang zu befinden haben, in welcher Höhe neben den AfA für die auf das Gebäude entfallenden Anschaffungskosten von 4.765 € (164.596 € x 55 % Gebäudeanteil / 19 Jahre Nutzungsdauer) weitere AfA nach § 7 Abs. 1 EStG auf das in Gänze fortbestehende Nießbrauchsrecht abzuziehen sind. Hierzu bedarf es Feststellungen zur Höhe der Darlehensverbindlichkeiten zum Zeitpunkt der Erfüllung des Vermächtnisses sowie zur Laufzeit des Nießbrauchs.
b) Sollte sich aus den Feststellungen und rechtlichen Erwägungen des zweiten Rechtsgangs ergeben, dass insgesamt höhere AfA als 14.387 € abzuziehen wären, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die Klägerin nicht auf den Klageantrag des ersten Rechtsgangs beschränkt ware.