
BGH: Ablehnung seines nicht ausdrücklich als solchen bezeichneten und nicht mit einer Begründung versehenen Verlängerungsantrags
Verfahrens-/Prozessrecht
BGH, Beschluss vom 19.12.2024, IX ZB 16/23
Verfahrensgang: LG Neubrandenburg, 3 O 518/21 vom 28.11.2022
OLG Rostock, 3 U 115/22 vom 09.03.2023
Leitsatz:
a) Beantragt ein Prozessbevollmächtigter in der Berufungsschrift allenfalls konkludent eine Verlängerung der Frist für die Berufungsbegründung und führt er hierfür keine Umstände an, muss er mit einer Ablehnung des Fristverlängerungsantrags rechnen (Fortführung von BGH, Beschluss vom 16. November 2021 - VIII ZB 70/20, MDR 2022, 184 Rn. 18).
b) In einem solchen Fall ist es Sache des Prozessbevollmächtigten, von sich aus bei Gericht rechtzeitig nachzufragen, ob die Frist möglicherweise dennoch verlängert worden ist, so dass er andernfalls noch vor Fristablauf die Berufungsbegründung oder einen begründeten Verlängerungsantrag einreichen kann (Fortführung von BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 - IV ZR 132/06, VersR 2007, 1583 Rn. 8; vom 14. November 2023 - XI ZB 10/23, juris Rn. 15).
Gründe:
I. Der Kläger wendet sich im Wege der Drittwiderspruchsklage gemäß § 262 Abs. 1 AO gegen eine Pfändung durch das Finanzamt des beklagten Landes. Dieses pfändete am 11. August 2021 gegenüber der D. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) verschiedene Gegenstände in den an diese vom Kläger vermieteten Geschäftsräumen. Über das Vermögen der Schuldnerin ist am 15. November 2021 das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat gegen das ihm am 29. November 2022 zugestellte landgerichtliche Urteil am 28. Dezember 2022 Berufung eingelegt. In der Berufungsschrift heißt es: "Anträge und die Begründung bleiben einem besonderen Schriftsatz vorbehalten, welcher binnen einer Frist von sechs Wochen und somit bis zum 07.02.2023 erfolgen wird.". Auf den Hinweis des Senatsvorsitzenden des Berufungsgerichts vom 2. Februar 2023, dass die Frist für die Berufungsbegründung am Montag, den 30. Januar 2023 abgelaufen sei, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Berufung am 6. Februar 2023 begründet und hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung dieser Frist beantragt, weil die Berufungsschrift einen Antrag auf Fristverlängerung enthalten habe. Das Berufungsgericht hat unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
II. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte und auch den Form- und Fristerfordernissen genügende Rechtsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Wiedereinsetzung ablehnenden und die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2004 - XI ZB 6/04, BGHZ 161, 86, 87; vom 7. Februar 2023 - VIII ZB 55/21, NJW 2023, 1812 Rn. 14), sind nicht erfüllt. Denn die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) noch erfordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt die angefochtene Entscheidung nicht das Verfahrensgrundrecht des Klägers auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Ebenso wenig ist eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG gegeben. Das Berufungsgericht hat dem Kläger mit Recht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 Satz 1 ZPO versagt und seine Berufung als unzulässig verworfen, weil die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruht, das ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.
a) Nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann die Frist zur Berufungsbegründung ohne Einwilligung des Gegners - auf eine solche hat sich der Kläger nicht berufen - auf Antrag um bis zu einen Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Ein Berufungskläger muss grundsätzlich damit rechnen, dass der Vorsitzende des Berufungsgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist versagt. Ohne Verschulden im Sinne von § 233 ZPO handelt der Rechtsanwalt daher nur dann, wenn er auf die Fristverlängerung vertrauen durfte, das heißt, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2009 - VII ZB 111/08, NJW 2009, 3100 Rn. 8; vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rn. 11; vom 10. Oktober 2023 - XI ZB 1/23, NJW 2023, 3799 Rn. 11). Das setzt zunächst die Zulässigkeit und weiter die Vollständigkeit des Fristverlängerungsantrags voraus. Hierzu gehört auch die Darlegung eines erheblichen Grundes im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO für die Notwendigkeit der Fristverlängerung, an die bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (BGH, Beschluss vom 16. November 2021 - VIII ZB 70/20, MDR 2022, 184 Rn. 16). Wird der Antrag auf Fristverlängerung nicht in diesem Sinne begründet, muss der Rechtsmittelführer hingegen damit rechnen, dass der Vorsitzende in einem solchen Antrag eine Verzögerung des Rechtsstreits sehen und das Gesuch deshalb ablehnen werde (vgl. BGH, Beschluss vom 20. August 2019 - X ZB 13/18, NJW-RR 2019, 1392 Rn. 12; vom 16. November 2021, aaO Rn. 18).
b) Bei Anlegung dieses Maßstabs bedarf es keiner Entscheidung, ob der Berufungsschrift überhaupt ein konkludenter Antrag auf Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung zu entnehmen ist. Denn mangels Darlegung eines erheblichen Grundes im Sinne von § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO durfte der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht auf die Gewährung einer Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung vertrauen. Dass es einer ständigen Übung des Berufungssenats entsprochen hätte, erstmaligen Gesuchen um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist für eine Dauer von einem Monat auch ohne Darlegung von Gründen zu entsprechen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 - IV ZR 132/06, VersR 2007, 1583 Rn. 9), trägt der Kläger nicht vor.
c) Im Übrigen kann einem (unterstellten) Verlängerungsantrag auch keine konkludente Darlegung eines erheblichen Grundes entnommen werden. Die Rechtsbeschwerde beruft sich im Zusammenhang mit einem von ihr für erforderlich gehaltenen Hinweis darauf, der Prozessbevollmächtigte des Klägers sei wegen einer Häufung von Fristsachen im Januar 2023 an der rechtzeitigen Prüfung der Erfolgsaussichten der Berufung und der Fertigstellung der Berufungsbegründung gehindert gewesen.
aa) Zwar kann unter Umständen auch eine konkludente Darlegung der für eine Fristverlängerung erforderlichen Voraussetzungen genügen (BGH, Beschluss vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rn. 15) und zählt zu den erheblichen Gründen im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO insbesondere die Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2017 aaO Rn. 11 ff; vom 22. Juni 2021 - VIII ZB 56/20, NJW 2022, 400 Rn. 23).
bb) Einer Auslegung des Fristverlängerungsantrags dahingehend, dass sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers konkludent auf eine Arbeitsüberlastung berufen habe, steht jedoch auch unter Beachtung der Interessenlage des Klägers entgegen, dass im Antrag überhaupt keine Umstände genannt werden, aus denen der Anlass der begehrten Fristverlängerung hätte entnommen und aus denen somit ein Rückschluss auf den erheblichen Grund hätte gezogen werden können. Allein aus der unterbliebenen Angabe anderer Hinderungsgründe folgt nicht, dass sich der Klägervertreter zur Begründung seines Fristverlängerungsantrags (konkludent) auf eine Arbeitsüberlastung berufen habe. Denn eine solche ist nicht ohne weiteres als erheblicher Grund im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO zu vermuten (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 - IV ZR 132/06, VersR 2007, 1583 Rn. 7; vom 16. November 2021 - VIII ZB 70/20, NJW-RR 2022, 201 Rn. 19).
2. Für die Versäumung der Frist war bei wertender Betrachtung eine eventuell nicht dem Kläger zuzurechnende Verzögerung in Bezug auf die ablehnende Verfügung des Senatsvorsitzenden des Berufungsgerichts nicht ursächlich. Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, die späte Reaktion des Gerichts verletze den Grundsatz eines fairen Verfahrens, greift dies nicht durch.
a) Grundsätzlich ist es Sache der nach Maßgabe des § 78 ZPO anwaltlich vertretenen Prozessparteien, für die Wahrung der Rechtsmittelbegründungsfristen Sorge zu tragen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2023 - XII ZB 96/23, MDR 2023, 1472 Rn. 20). Daher besteht keine generelle Fürsorgepflicht des Rechtsmittelgerichts, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern. Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge verfassungsrechtlich geboten ist, kann sich nicht nur am Interesse des Rechtsuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern muss auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss. Danach muss der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die ordnungsgemäße Anbringung eines Fristverlängerungsantrags nicht allgemein abgenommen und auf die Gerichte verlagert werden (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2021 - V ZB 12/21, MDR 2022, 261 Rn. 6).
b) Nach diesen Grundsätzen war im Streitfall kein gerichtlicher Hinweis geboten. Denn für das Berufungsgericht war aufgrund der nicht einwandfreien Formulierung und der unterbliebenen Angabe von Gründen für eine Fristverlängerung weder ohne Weiteres zu erkennen, dass in der Berufungsschrift um Verlängerung der Frist für die Berufungsbegründung ersucht werden sollte, noch, dass der Verfahrensbevollmächtigte aufgrund eines Versehens auf die Bewilligung einer Fristverlängerung vertraute. Daher war es Sache des Klägervertreters, den eine Ablehnung seines nicht ausdrücklich als solchen bezeichneten und nicht mit einer Begründung versehenen Verlängerungsantrags nicht hätte überraschen dürfen, von sich aus bei Gericht rechtzeitig nachzufragen, ob die Frist möglicherweise dennoch verlängert worden war, so dass er im nicht fernliegenden Fall der Ablehnung noch vor Fristablauf die Berufungsbegründung oder jedenfalls einen begründeten Verlängerungsantrag hätte einreichen können (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 - IV ZR 132/06, VersR 2007, 1583 Rn. 8; vom 2. August 2023 - XII ZB 96/23, MDR 2023, 1472 Rn. 21; vom 14. November 2023 - XI ZB 10/23, juris Rn. 15).