BGH: Übermittlung eines Schriftsatzes über das beA eines anderen Rechtsanwalts

Verfahrensrecht

BGH, Beschluss vom 03.07.2024, XII ZB 538/23
Verfahrensgang: AG Böblingen, 14 F 14/22 vom 09.05.2023
OLG Stuttgart, 15 UF 107/23 vom 27.10.2023

Leitsatz:

Reicht ein Rechtsanwalt über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach einen Schriftsatz, den ein anderer Rechtsanwalt verfasst, aber nicht qualifiziert elektronisch signiert hat, bei Gericht ein, ist dies nicht wirksam (im Anschluss an BGH Beschluss vom 28. Februar 2024 - IX ZB 30/23 - NJW 2024, 1660).

Gründe:

I. Der Antragsteller begehrt Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist.

Das Amtsgericht hat unter anderem den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Auskunft über Einkünfte und Vermögen sowie Vorlage von im Einzelnen bezeichneten Belegen zur Geltendmachung eines familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs im Wege der Stufenklage zurückgewiesen. Gegen den ihm am 11. Mai 2023 zugestellten Teilbeschluss hat der Antragsteller fristgerecht Beschwerde eingelegt. Nach Ablauf der antragsgemäß bis zum 9. August 2023 verlängerten Beschwerdebegründungsfrist hat das Oberlandesgericht am 22. August 2023 auf die Unzulässigkeit der Beschwerde mangels fristgerechter Begründung hingewiesen. Daraufhin hat der Antragsteller mit anwaltlichem Schriftsatz vom 30. August 2023 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist beantragt und die Beschwerde zugleich begründet. Den Wiedereinsetzungsantrag hat er - unter Beifügung entsprechender eidesstattlicher Versicherungen beider Rechtsanwälte - damit begründet, der Rechtsanwalt, den sein Verfahrensbevollmächtigter unter Hinweis auf den Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist am 9. August 2023 um Übermittlung der Beschwerdebegründung an das Oberlandesgericht per beA gebeten habe, habe die Versendung vergessen. Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Beschwerde verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers.

II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 112 Nr. 1, 113 Abs. 1, 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, weil die angefochtene Entscheidung den Antragsteller weder in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) noch in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG) verletzt. Ebenso wenig besteht ein Rechtsfortbildungsbedarf.

1. Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass der Antragsteller die Beschwerde nicht innerhalb der mit dem 9. August 2023 abgelaufenen (verlängerten) Frist gemäß §§ 112 Nr. 1, 117 Abs. 1 FamFG eingereicht hat. Hiergegen erinnert auch die Rechtsbeschwerde nichts.

2. Ebenfalls im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung hält sich, dass das Beschwerdegericht dem Antragsteller auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Beschwerdebegründungsfrist verweigert hat. Denn die Fristversäumung beruht auf einem Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten, die sich der Antragsteller nach § 113 Abs. 1 FamFG, § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

a) Gemäß § 113 Abs. 1 FamFG, § 233 ZPO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn ein Beteiligter ohne sein Verschulden verhindert war, die Beschwerdebegründungsfrist nach § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG einzuhalten, wobei ein Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten den Beteiligten zuzurechnen ist (§ 113 Abs. 1 FamFG, § 85 Abs. 2 ZPO). Nach ständiger Rechtsprechung des Senats muss der Wiedereinsetzungsantrag die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten. Hierzu gehört eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus der sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen die Fristversäumung beruht (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 16. August 2023 - XII ZB 499/22 - juris Rn. 6 mwN). Besteht nach diesen von dem Beteiligten glaubhaft gemachten Tatsachen (§ 113 Abs. 1 FamFG, § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO) zumindest die Möglichkeit, dass die Fristversäumung vom Beteiligten beziehungsweise seinem Verfahrensbevollmächtigten verschuldet war, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 1. März 2023 - XII ZB 228/23 - FamRZ 2023, 879 Rn. 13 mwN).

b) Der Wiedereinsetzungsantrag des Antragstellers und die eidesstattlichen Versicherungen der beiden Rechtsanwälte enthalten keine Schilderung der tatsächlichen Abläufe, die nach den vorstehenden Maßstäben ein fehlendes Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten annehmen ließen. Denn sie lassen nicht erkennen, ob der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers dem von ihm herangezogenen anderen Rechtsanwalt am 9. August 2023 die Beschwerdebegründung mit einer qualifizierten elektronischen Signatur übermittelt hat.

aa) Nach § 113 Abs. 1 FamFG, §§ 520 Abs. 5, 130 a ZPO muss die Beschwerdebegründung als elektronisches Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Die Bestimmung stellt damit zwei Wege zur rechtswirksamen Übermittlung von elektronischen Dokumenten zur Verfügung. Zum einen kann der Rechtsanwalt den Schriftsatz mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Zum anderen kann er auch nur einfach signieren, muss den Schriftsatz aber sodann selbst auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130 a Abs. 4 ZPO einreichen (vgl. BGH Beschluss vom 28. Februar 2024 - IX ZB 30/23 - NJW 2024, 1660 Rn. 9).

Ist der Verfahrensbevollmächtigte, der den Schriftsatz gefertigt und einfach signiert hat, nicht identisch mit der Person, die durch den sicheren Übermittlungsweg als Absender des elektronischen Dokuments ausgewiesen wird, ist das Dokument danach nicht wirksam eingereicht (vgl. BGH Beschluss vom 7. Mai 2024 - VI ZB 22/23 - juris Rn. 6). In diesem Fall kann die als Absender ausgewiesene Person das Dokument nur dann wirksam einreichen, wenn sie es selbst qualifiziert elektronisch signiert und damit ihren unbedingten Willen zum Ausdruck bringt, auch eine entsprechende Verantwortung für den bestimmenden Schriftsatz zu übernehmen und dessen Inhalt zu verantworten und den Mandanten zumindest als Unterbevollmächtigter in Wahrnehmung des Mandats zu vertreten (vgl. BGH Beschluss vom 28. Februar 2024 - IX ZB 30/23 - NJW 2024, 1660 Rn. 13 mwN).

Hat der Verfahrensbevollmächtigte dagegen den bestimmenden Schriftsatz mit einer qualifiziert elektronischen Signatur versehen und damit die Verantwortung für dessen Inhalt übernommen, steht es einer wirksamen Einreichung nicht entgegen, wenn bei der Übermittlung eine andere Person als Absender ausgewiesen wird.

bb) Gemessen daran kann vorliegend die Möglichkeit, dass die Fristversäumung vom Antragsteller beziehungsweise seinem Verfahrensbevollmächtigten verschuldet war, nicht ausgeschlossen werden.

Der Verfahrensbevollmächtigte hat lediglich vorgetragen, er habe die Beschwerdebegründung am Vormittag des letzten Tags der Begründungsfrist fertiggestellt. Ob und in welcher Form er die Beschwerdebegründung signiert hat, ist weder dargelegt noch ersichtlich. Insbesondere lässt sich auch den Akten insoweit nicht entnehmen, dass die auf den 9. August 2023 datierte Beschwerdebegründung, die am 30. August 2023 qualifiziert elektronisch signiert und beim Beschwerdegericht eingereicht worden ist, zuvor schon einmal signiert worden wäre. Bei lediglich einfacher Signatur hätte die bloße Weiterleitung des Schriftsatzes durch den anderen Rechtsanwalt aber mangels Identität von verantwortendem und einreichendem Rechtsanwalt nicht zu einer wirksamen Einreichung der Beschwerdebegründung führen können.

Ebenso wenig ist dargelegt, dass der Rechtsanwalt, der die Beschwerdebegründung für den Verfahrensbevollmächtigten übermitteln sollte, diese auch selbst qualifiziert elektronisch signieren sollte. Hinzu kommt, dass in diesem Fall das schlichte Vergessen der Einreichung der Beschwerdebegründung als Verschulden seines Unterbevollmächtigten zu werten wäre, das sich der Antragsteller wiederum nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsste.

c) Der Senat war auch nicht gehalten, dem Antragsteller Gelegenheit zu geben, seinen Vortrag zu präzisieren. Grundsätzlich müssen gemäß § 113 Abs. 1 FamFG, §§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 ZPO alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein können, innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden. Zwar dürfen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung geboten gewesen wäre, auch noch nach Fristablauf erläutert und vervollständigt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 25. September 2013 - XII ZB 200/13 - NJW 2014, 77 Rn. 9 mwN). Diese Voraussetzungen liegen hier indessen nicht vor, weil es sich bei der erforderlichen qualifizierten elektronischen Signatur durch den Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers um den tragenden Grund für eine schuldlose Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist handelt.