BGH zu den Anforderungen an die Übermittlung eines elektronischen Dokuments
Verfahrensrecht
BGH, Beschluss vom 07.05.2024, VI ZB 22/23
Verfahrensgang: LG Köln, 3 O 372/15 vom 28.10.2022
OLG Köln, 21 U 93/22 vom 27.02.2023
Leitsatz:
Zu den nach § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO bestehenden Anforderungen an die Übermittlung eines elektronischen Dokuments.
Gründe:
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage teilweise abgewiesen. Die Entscheidung ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin, Rechtsanwalt L., am 8. November 2022 zugestellt worden. Am 24. November 2022 ist ausgehend von dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) des Rechtsanwalts L. Berufung gegen das Urteil des Landgerichts beim Oberlandesgericht eingelegt und diese mit am 14. Dezember 2022 wiederum vom beA des Rechtsanwalts L. aus versandtem Schriftsatz begründet worden. Beide Schriftsätze waren nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur, sondern lediglich mit einer einfachen Signatur (maschinenschriftliche Namensangabe und grafische Wiedergabe der handschriftlichen Unterschrift) von Rechtsanwältin W. versehen, die nach den Angaben im Briefkopf angestellte Rechtsanwältin in der Kanzlei des Rechtsanwalts L. ist.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin nach vorangegangenem Hinweis durch Beschluss als unzulässig verworfen, weil sie nicht form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden sei. Die innerhalb der Berufungsfrist elektronisch eingegangene Berufung sei nicht formwirksam eingelegt, da sie nicht den Anforderungen des § 130a ZPO entsprochen habe. Denn die Berufungsschrift sei weder qualifiziert elektronisch signiert noch von dem elektronischen Anwaltspostfach der verantwortenden Person versandt worden. Das gelte auch für die Berufungsbegründung vom 14. Dezember 2022.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.
II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die maßgeblichen Rechtsfragen sind durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt, so dass die Rechtsbeschwerde - anders als die Beschwerdeführerin meint - nicht gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zulässig ist. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) wegen Verletzung der Klägerin in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) oder in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) erforderlich. Denn das Berufungsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die elektronische Einreichung der Berufungsschrift am 24. November 2022 nicht den Anforderungen des § 130a ZPO entsprach, so dass die Klägerin die am 8. Dezember 2022 abgelaufene einmonatige Berufungsfrist versäumt hat.
1. Gemäß § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO muss das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Die Bestimmung stellt damit zwei Wege zur rechtswirksamen Übermittlung von elektronischen Dokumenten zur Verfügung. Zum einen kann der Rechtsanwalt den Schriftsatz mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Zum anderen kann er auch nur einfach signieren, muss den Schriftsatz aber sodann selbst auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a Abs. 4 ZPO, etwa über ein beA nach den §§ 31a und 31b BRAO (§ 130 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO), einreichen. Die einfache Signatur hat in dem zuletzt genannten Fall die Funktion zu dokumentieren, dass die durch den sicheren Übermittlungsweg als Absender ausgewiesene Person mit der die Verantwortung für das elektronische Dokument übernehmenden Person identisch ist; ist diese Identität nicht feststellbar, ist das Dokument nicht wirksam eingereicht (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2024 - IX ZB 30/23, juris Rn. 9 f.; BAGE 172, 186 Rn. 16; BT-Drucks. 17/12634, S. 25). Nach einhelliger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist ein elektronisches Dokument, das - wie hier die Berufungsschrift - aus einem persönlich zugeordnetem beA (vgl. § 31a BRAO) versandt wird und nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, nur dann auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht, wenn die das Dokument signierende und damit verantwortende Person mit der des tatsächlichen Versenders übereinstimmt (zu § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO vgl. BAGE 171, 28 Rn. 14; zu § 32a Abs. 3 Alt. 2 StPO vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Juni 2023 - 5 StR 164/23, juris Rn. 4; vom 24. Januar 2023 - 6 StR 466/22, JR 2023, 398 Rn. 4; vom 18. Oktober 2022 - 3 StR 262/22, NStZ-RR 2023, 22, juris Rn. 2; vom 3. Mai 2022 - 3 StR 89/22, wistra 2022, 389 Rn. 11; zu § 55a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 VwGO vgl. BVerwG, NVwZ 2022, 649 Rn. 5; zu § 65a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGG vgl. BSG, NJW 2022, 1334 Rn. 7).
2. Nach diesen Grundsätzen ist die elektronisch übermittelte Berufungsschrift nicht formgerecht eingereicht worden. Rechtsanwältin W. hat das Dokument nicht mit einer qualifizierten, sondern nur mit einer einfachen elektronischen Signatur versehen. Dies genügte trotz der Übermittlung des Dokuments über ein beA den Anforderungen des § 130a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ZPO nicht, weil als Absender des Dokuments der Inhaber des beA - Rechtsanwalt L. - und nicht die ausweislich der einfachen Signatur das Dokument verantwortende Person - Rechtsanwältin W. - ausgewiesen war. Allein aufgrund der Tatsache, dass das Dokument über das beA von Rechtsanwalt L. übermittelt wurde, kann nach der Regelungssystematik des § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht davon ausgegangen werden, dass er das Dokument nicht nur übermitteln, sondern auch die Verantwortung für seinen Inhalt übernehmen wollte, auch wenn er zur Vertretung der Klägerin berechtigt war. Von der auch bei einfacher Signatur durch einen anderen Rechtsanwalt bestehenden Möglichkeit, die Übernahme der Verantwortung für den Inhalt des über sein beA übermittelten elektronischen Dokuments durch Anbringung seiner eigenen elektronischen Signatur zum Ausdruck zu bringen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 28. Februar 2024 - IX ZB 30/23, juris Rn. 10 ff.), hat Rechtsanwalt L. keinen Gebrauch gemacht.
3. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde kann vorliegend auf die Erfüllung der nach § 130a ZPO bestehenden Anforderungen an die Übermittlung eines elektronischen Dokuments nicht deshalb verzichtet werden, weil sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschriftsleistung vergleichbare Gewähr für die Identifizierung des Urhebers der Verfahrenshandlung und dessen unbedingten Willen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Dokuments zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen, ergeben würde (zur diesbezüglichen höchstrichterlichen Rechtsprechung bei Fehlen einer Unterschrift vgl. Senatsbeschluss vom 15. Oktober 2019 - VI ZB 22/19, FamRZ 2020, 184 Rn. 11 ff.; BGH, Beschluss vom 10. Mai 2005 - XI ZR 128/04, VersR 2006, 427, juris Rn. 20 ff.; jeweils mwN). Entsprechende Umstände liegen hier nicht vor.
Soweit die Rechtsbeschwerde darauf verweist, aus dem bisherigen Prozessverlauf sei klar zu erkennen, dass Rechtsanwältin W. die Verantwortung für die Berufungsschrift übernehmen wollte, mag Rechtsanwältin W. zwar durchgehend als alleinige Sachbearbeiterin in Erscheinung getreten sein. Damit steht hinsichtlich der Berufungsschrift angesichts deren Übermittlung über das beA von Rechtsanwalt L. aber nicht zweifelsfrei fest, dass die Einreichung dieses Dokuments ihrem unbedingten Willen entsprach. Die diesbezügliche Erklärung von Rechtsanwältin W., auf die die Beschwerde ergänzend verweist, ist insoweit unabhängig davon, dass auch diese Erklärung über das beA von Rechtsanwalt L. versandt wurde, schon deshalb unbeachtlich, weil sie nach Ablauf der Berufungsfrist erfolgte (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2005 - XI ZR 128/04, VersR 2006, 427, juris Rn. 23 aE mwN). Im Hinblick auf Rechtsanwalt L. bietet der Umstand, dass er im Briefkopf der Berufungsschrift als Kanzleiinhaber und Rechtsanwältin W. als seine Angestellte ausgewiesen ist, entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde keine der Unterschrift bzw. der sie gemäß § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO ersetzenden elektronischen Signatur vergleichbare Gewähr dafür, dass er die volle Verantwortung für den Inhalt des Dokuments übernehmen wollte.