BGH zur Kontrolle des Fristenkalenders bei elektronischer Kalenderführung
Verfahrensrecht
BGH, Beschluss vom 26.09.2024, III ZB 82/23
Verfahrensgang: LG Dortmund, 3 O 427/21 vom 13.03.2023
OLG Hamm, I-34 U 146/23 vom 23.10.2023
Leitsatz:
Auch bei einer elektronischen Kalenderführung bedarf es einer Kontrolle des Fristenkalenders, um Datenverarbeitungsfehler des eingesetzten Programms sowie Eingabefehler oder -versäumnisse mit geringem Aufwand rechtzeitig erkennen und beseitigen zu können (Fortführung von Senat, Beschluss vom 28. Februar 2019 - III ZB 96/18, NJW 2019, 1456; BGH, Beschluss vom 2. Februar 2021 - X ZB 2/20, NJW-RR 2021, 444).
Gründe:
I. Die Klägerin wendet sich mit ihrer Rechtsbeschwerde gegen die Versagung der begehrten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Verwerfung ihrer Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts, durch das ihre insbesondere auf Zahlung von Schadensersatz wegen behaupteter Verletzung von Pflichten aus einem Anlageberatungs- und Anlagevermittlungsvertrag gerichtete Klage abgewiesen worden ist.
Gegen das am 18. April 2023 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 25. April 2023 Berufung eingelegt.
Mit Verfügung der Berichterstatterin vom 23. Juni 2023 hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass bis zu diesem Zeitpunkt keine Berufungsbegründung eingegangen war. Daraufhin hat die Klägerin mit am 6. Juli 2023 eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag ihre Berufung begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat ihr Prozessbevollmächtigter ausgeführt, die Fristversäumung beruhe allein auf einem leichten Versehen zweier sehr zuverlässiger und ansonsten beanstandungsfrei arbeitender Kanzleimitarbeiter. Die Berufungsbegründungsfrist und die zugehörige Vorfrist seien aufgrund eines Datenverarbeitungsfehlers im Fristenkalender der nicht mehr in der Kanzlei tätigen, nichtanwaltlichen Mitarbeiterin S. eingetragen worden und nicht, wie alle anderen Fristen, im Kalender des damals sachbearbeitenden Rechtsanwalts K. . Bei der Bearbeitung der Posteingänge seien durch die damalige Auszubildende die Fristen in der Fristerfassung der in der Kanzlei verwendeten Software (RA-Micro) eingetragen worden. Dabei werde durch die Eingabe der Aktennummer automatisch der zuständige Rechtsanwalt ausgewählt, der als Sachbearbeiter hinterlegt sei. Nach einer erneuten Überprüfung der Eintragung der Fristen habe sie in der E-Akte an dem Urteil einen elektronischen Aktenvermerk mit den jeweiligen Fristabläufen angebracht. Eine Überprüfung des Sachbearbeiterkürzels und der Fristeneintragung im Hauptkalender, in dem die für alle Anwälte laufenden Fristen eingetragen seien, sei ihrerseits nicht erfolgt. Anschließend habe ein weiterer Mitarbeiter eine erneute Kontrolle im System vorgenommen. Eine Kontrolle der Fristeneintragung im Hauptkalender habe er nicht vorgenommen. Er habe dies nicht für notwendig erachtet, weil es nach logischen Grundsätzen technisch ausgeschlossen sei, dass das System einen falschen Sachbearbeiter vorschlage. Zu einem Datenverarbeitungsfehler der vorliegenden Art sei es in der sechsjährigen anwaltlichen Tätigkeit von Rechtsanwalt K. nicht gekommen. Am 24. April 2023 habe dieser die Deckungsanfrage bei der Rechtsschutzversicherung gestellt und anhand der Notiz überprüft, dass die Fristen eingetragen seien. Er habe nicht davon ausgehen müssen, dass die Berufungsbegründungs- und die zugehörige Vorfrist nicht in seinem Termin- und Fristenkalender erscheinen würden.
Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin verworfen. Hiergegen wendet sich ihre Rechtsbeschwerde.
II. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe die am 18. Juni 2023 abgelaufene Berufungsbegründungsfrist versäumt und weder hinreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass die Fristversäumung unverschuldet erfolgt sei (§ 85 Abs. 2, §§ 233, 236 ZPO). Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe eine hinreichende Kontrolle der elektronischen Fristenführung durch eine entsprechende Büroorganisation nicht vorgetragen. Auch bei elektronischen Fristenkalendern müsse eine Kontrolle der Fristeneingabe gewährleistet sein. Da nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit dieser Kontrolle auch Datenverarbeitungsfehler ausgeschlossen werden sollten, müsse nach Abschluss der Fristeneintragung im System die korrekte Übertragung der Fristen in den Hauptkalender gewährleistet sein. Konkrete Anweisungen zur Kontrolle der Fristeneintragung im Hauptkalender seien nicht dargelegt und glaubhaft gemacht. Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ausführe, dass eine solche Anweisung nicht erforderlich sei, weil allen Kanzleimitarbeitern bekannt sei, wie wichtig die korrekte Fristeneintragung im Hauptkalender sei, könne dem nicht gefolgt werden. Allein die Überprüfung der Fristeneintragung könne zwar mögliche Tippfehler oder Irrtümer über den Fristablauf ausschließen, Datenverarbeitungsfehler würden so aber nicht erkannt.
Ein Verschulden des damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin ergebe sich darüber hinaus daraus, dass er den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist und ihre Eintragung im Hauptkalender nicht eigenverantwortlich überprüft habe, obwohl ihm die Akte zur eigenen Bearbeitung vorgelegen habe. Zwar habe er sich grundsätzlich auf eine Prüfung des Erledigungsvermerks in der Handakte beschränken können. Dies setze aber eine hinreichende Büroorganisation voraus, an der es hier - wie dargelegt - gefehlt habe.
III. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist weder wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) noch zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
1. Wie die Rechtsbeschwerde nicht verkennt, darf die Verwendung einer elektronischen Kalenderführung keine hinter der manuellen Führung zurückbleibende Überprüfungssicherheit bieten. Bei der Eingabe von Fristen in den elektronischen Fristenkalender bestehen spezifische Fehlermöglichkeiten, insbesondere auch bei der Datenverarbeitung (Senat, Beschluss vom 28. Februar 2019 - III ZB 96/18, NJW 2019, 1456 Rn. 13 mwN). Es bedarf daher auch bei einer elektronischen Kalenderführung einer Kontrolle des Fristenkalenders, um Datenverarbeitungsfehler des eingesetzten Programms sowie Eingabefehler oder -versäumnisse mit geringem Aufwand rechtzeitig erkennen und beseitigen zu können (vgl. Senat aaO; BGH, Beschluss vom 2. Februar 2021 - X ZB 2/20, NJW-RR 2021, 444 Rn. 8).
2. Danach ist die von der Rechtsbeschwerde als grundsätzlich angesehene Frage, ob eine hinreichende Fristenkontrolle durch den Rechtsanwalt bereits dadurch sichergestellt ist, dass eine auf dem Markt als erprobt und zuverlässig angesehene Kanzleisoftware verwendet und die Eingabe der fristrelevanten Daten in die Fristerfassungsmaske (sowie deren abschließende Bestätigung) geschultem und zuverlässigem Personal überlassen wird, das sie nach dem "Vier-Augen-Prinzip" vorzunehmen hat, zum Nachteil der Klägerin bereits geklärt. Die Rechtsbeschwerde sieht selbst, dass hierdurch der in Rede stehende Verarbeitungsfehler nicht erkannt werden kann. Ihre Auffassung, ein Rechtsanwalt dürfe die Korrektheit der Datenverarbeitung ohne weiteren Kontrollschritt voraussetzen (Rechtsbeschwerdebegründung S. 12), ist mit der dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zu vereinbaren. Dabei bedarf es weiterhin keiner Entscheidung, wie diese Kontrolle im Einzelnen zu erfolgen hat, insbesondere ob es eines Kontrollausdrucks in Papierform bedarf (vgl. BGH aaO Rn. 10). Denn die Klägerin hat vorgetragen, es sei überhaupt keine Kontrolle des Ergebnisses der Datenverarbeitung in Bezug auf die richtige Zuordnung zu dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt vorgenommen worden. Soweit sie geltend macht, eine weitergehende Kontrolle sei nicht zumutbar, ergibt sich unter anderem aus dem vorgelegten Ausdruck der "Termine zur Akte" (Anlage BJ 6), dass der für die Fristversäumung ursächliche Datenverarbeitungsfehler - die falsche Zuordnung des Sachbearbeiters - sich nicht nur im Fristenkalender ausgewirkt hat, sondern auch in der Aufstellung der Termine in der elektronischen Akte abgebildet und daher ohne weiteres erkennbar war.
Da das Berufungsgericht diese Grundsätze zutreffend angewandt hat, bedarf es auch keiner Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung.