BSG: Kein Ruhen des Krankengeldanspruchs bei fehlender elektronischer Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten durch den Vertragsarzt

SGB V Gesetzliche Krankenversicherung

BSG, Urteil vom 30.11.2023, B 3 KR 23/22 R
Verfahrensgang: SG Köln, S 23 KR 1875/21 vom 08.03.2022
LSG Nordrhein-Westfalen, L 10 KR 245/22 vom 16.11.2022

Leitsatz:

Der Anspruch des Versicherten auf Krankengeld ruht nicht, wenn durch den Vertragsarzt entgegen seiner seit 1.1.2021 gesetzlich begründeten Pflicht die unmittelbar elektronische Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten an die Krankenkasse nicht erfolgt.

Gründe:

I

Im Streit steht die Zahlung von Krankengeld vom 12.5. bis 21.7.2021.

Der 1957 geborene, bei der beklagten Krankenkasse freiwillig versicherte Kläger war seit 31.3.2021 arbeitsunfähig erkrankt. Bis 11.5.2021 erhielt er Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber. Am 28.7.2021 übersandte der Kläger der Beklagten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, mit denen ua Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 11.5. bis 21.7.2021 lückenlos attestiert wurde.

Die Beklagte lehnte die Zahlung von Krankengeld vom 12.5. bis 21.7.2021 ab (Bescheid vom 29.7.2021; Widerspruchsbescheid vom 2.11.2021). Der Krankengeldanspruch habe in diesem Zeitraum geruht, weil ihr die unstreitigen Arbeitsunfähigkeiten nicht jeweils rechtzeitig gemeldet worden seien. Dies sei eine Obliegenheit des Versicherten. Daran habe die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nichts geändert, weil diese im streitigen Zeitraum noch nicht umgesetzt gewesen sei.

Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 12.5. bis 21.7.2021 Krankengeld zu gewähren (Urteil vom 8.3.2022). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 16.11.2022). Nach § 49 Abs 1 Nr 5 iVm § 295 Abs 1 SGB V in der 2019 vom Gesetzgeber beschlossenen und am 1.1.2021 in Kraft getretenen Fassung habe den Kläger schon dem Grunde nach keine Meldeobliegenheit für seine Arbeitsunfähigkeit gegenüber der Beklagten getroffen. Die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten hätte nach der zwingenden gesetzlichen Regelung durch die den Kläger behandelnden Vertragsärzte im elektronischen Verfahren an die Krankenkasse erfolgen müssen. Sei diese entgegen § 295 Abs 1 SGB V tatsächlich nicht durchgeführt worden, greife der Ruhenstatbestand des § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V nicht zulasten des Versicherten ein. Die Möglichkeit eines Aufschiebens des Systemwechsels über den 1.1.2021 hinaus habe im Gesetz keinen Niederschlag gefunden. Soweit die Vertragspartner des BMV-Ä abweichend vom Gesetz eine Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erst für den 1.10.2021 vereinbart hätten, stehe dies nicht im Einklang mit höherrangigem Recht.

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V. Dessen Schutzzweck würde ausgehebelt, wenn Krankenkassen immer dann, wenn entweder Arztpraxen ab 1.1.2021 technisch noch nicht für die elektronische Übermittlung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestattet gewesen seien oder die Übermittlung aus technischen oder anderen Gründen im Einzelfall verspätet erfolgt sei, die Möglichkeit genommen sei, eine Arbeitsunfähigkeit zeitnah zu prüfen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. November 2022 und des Sozialgerichts Köln vom 8. März 2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt schriftsätzlich,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass der Anspruch des Klägers auf Krankengeld nicht ruhte und er Krankengeld vom 12.5. bis 21.7.2021 beanspruchen kann.

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die Entscheidungen der Vorinstanzen und der Bescheid vom 29.7.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.11.2021, durch den die Beklagte den vom Kläger verfolgten Anspruch auf Zahlung von Krankengeld vom 12.5. bis 21.7.2021 abgelehnt hat. Richtige Klageart ist die auf Aufhebung der Bescheide und Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Krankengeld gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG), die als auf ein Grundurteil gerichtet keiner Bezifferung bedarf (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG). Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage gegen ihre ablehnenden Bescheide abzuweisen.

2. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs auf Krankengeld ist § 44 Abs 1 iVm § 46 Satz 1 Nr 2 und Satz 2 SGB V. Nach § 44 Abs 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld ua dann, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für das Krankengeld vorliegt. Nach § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V entsteht dieser Anspruch auf Krankengeld von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an. Dies gilt auch für an die ärztliche Erstfeststellung von Arbeitsunfähigkeit anschließende Folgefeststellungen (stRspr; vgl BSG vom 26.3.2020 - B 3 KR 9/19 R - BSGE 130, 85 = SozR 4-2500 § 46 Nr 10, RdNr 14 mwN).

3. Ausgehend hiervon steht zwischen den Beteiligten zu Recht nicht im Streit, dass der Kläger vom 12.5. bis 21.7.2021 arbeitsunfähig war und seine Arbeitsunfähigkeiten in dieser Zeit jeweils rechtzeitig und lückenlos ärztlich festgestellt worden waren. Im Streit steht vielmehr allein, ob sein Krankengeldanspruch in dieser Zeit ruhte.

4. Der Anspruch auf Krankengeld ruht ua, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird; dies gilt nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten im elektronischen Verfahren nach § 295 Abs 1 Satz 10 SGB V erfolgt (§ 49 Abs 1 Nr 5 SGB V idF des Art 2 Nr 1 Terminservice- und Versorgungsgesetz - TSVG vom 6.5.2019, BGBl I 646, in Kraft getreten nach Art 17 Abs 5 TSVG am 1.1.2021; redaktionell geändert - Bezug auf § 295 Abs 1 Satz 10 SGB V nach zwischenzeitlichen Satzeinfügungen statt zuvor auf § 295 Abs 1 Satz 7 SGB V - durch Art 1 Nr 4a Digitale-Versorgung- und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz - DVPMG vom 3.6.2021, BGBl I 1309, in Kraft getreten nach Art 20 Abs 1 DVPMG am 9.6.2021, dazu BT-Drucks 19/29384 S 7, 176).

Die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen sind verpflichtet, die von ihnen festgestellten Arbeitsunfähigkeitsdaten aufzuzeichnen und zu übermitteln (§ 295 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V idF des Art 2 Nr 3 Buchst b Doppelbuchst aa TSVG, in Kraft getreten nach Art 17 Abs 5 TSVG am 1.1.2021). Diese Angaben sind unter Angabe der Diagnosen sowie unter Nutzung der Telematikinfrastruktur nach § 291a SGB V unmittelbar elektronisch an die Krankenkasse zu übermitteln; dies gilt nicht für Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, die nicht an die Telematikinfrastruktur angeschlossen sind (§ 295 Abs 1 Satz 7 SGB V idF des Art 2 Nr 3 Buchst b Doppelbuchst bb TSVG, in Kraft getreten nach Art 17 Abs 5 TSVG am 1.1.2021; seit 1.1.2020 § 295 Abs 1 Satz 10 SGB V aufgrund Satzeinfügungen durch Art 1 Nr 27 Buchst a MDK-Reformgesetz vom 14.12.2019, BGBl I 2789, in Kraft getreten nach Art 15 Abs 1 MDK-Reformgesetz am 1.1.2020, vgl dazu erneut BT-Drucks 19/29384 S 7, 176). Die Angaben nach § 295 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V sind unter Angabe der Diagnosen seit 9.6.2021 unter Nutzung des sicheren Übermittlungsverfahrens nach § 311 Abs 6 SGB V über die Telematikinfrastruktur unmittelbar elektronisch an die Krankenkasse zu übermitteln; nach wie vor gilt dies nicht für Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, die nicht an die Telematikinfrastruktur angeschlossen sind (§ 295 Abs 1 Satz 10 SGB V idF des Art 1 Nr 26 Buchst a DVPMG, in Kraft getreten nach Art 20 Abs 1 DVPMG am 9.6.2021; hierbei handelt es sich um die Korrektur eines Fehlverweises auf die Regelungen zur Telematikinfrastruktur infolge der Änderungen durch das Patientendaten-Schutz-Gesetz - PDSG vom 14.10.2020, BGBl I 2115, dazu BT-Drucks 19/29384 S 182; zu den Änderungen in der Telematikinfrastruktur und Neustrukturierung von deren Regelungen durch das PDSG insoweit BT-Drucks 19/18793 S 95, 98).

5. Vorliegend meldete weder der Kläger selbst seine Arbeitsunfähigkeiten in der streitigen Zeit jeweils innerhalb einer Woche nach ihrem Beginn der Beklagten, noch erfolgte durch seine behandelnden Vertragsärzte eine Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten im elektronischen Verfahren an die Beklagte. Gleichwohl ruhte der Anspruch des Klägers nicht.

6. Der Anspruch des Versicherten auf Krankengeld ruht nicht, wenn durch den Vertragsarzt entgegen seiner seit 1.1.2021 gesetzlich begründeten Pflicht die unmittelbar elektronische Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten an die Krankenkasse nicht erfolgt.

a) Zwar ruht der Anspruch auf Krankengeld nach § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird, wenn die Meldung nicht innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt. Bezug genommen ist damit auf die Obliegenheit des Versicherten, der Krankenkasse zur Vermeidung des Ruhens des Krankengeldanspruchs zeitgerecht die Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen (vgl hierzu aus der Rechtsprechung des Senats zur bis 31.12.2020 geltenden Rechtslage BSG vom 25.10.2018 - B 3 KR 23/17 R - BSGE 127, 53 = SozR 4-2500 § 49 Nr 8; BSG vom 8.8.2019 - B 3 KR 6/18 R - BSGE 129, 20 = SozR 4-2500 § 49 Nr 9; BSG vom 26.9.2019 - B 3 KR 1/19 R - juris; BSG vom 5.12.2019 - B 3 KR 5/19 R - juris).

b) Der Anspruch ruht aber nach § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V auch dann nicht, wenn die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten im elektronischen Verfahren nach § 295 Abs 1 Satz 10 SGB V erfolgt. Bezug genommen ist damit auf die Übermittlungspflicht der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen nach § 295 Abs 1 Satz 1 Nr 1 iVm Satz 10 SGB V, die seit 1.1.2021 gilt.

Dass der Anspruch auf Krankengeld hiernach dann nicht ruht, wenn die Arbeitsunfähigkeitsdaten im elektronischen Verfahren übermittelt werden, bedeutet nicht, dass er dann ruht, wenn diese Übermittlung durch den Vertragsarzt - sei es generell, sei es nur aufgrund von Störungen oder Unterlassungen im konkreten Einzelfall - nicht erfolgt und auch der Versicherte nicht die Arbeitsunfähigkeit innerhalb einer Woche nach ihrem Beginn der Krankenkasse meldet. Vielmehr ist mit der gesetzlichen Einführung der Übermittlungspflicht für die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen zum 1.1.2021 die Obliegenheit des Versicherten zur Meldung einer vertragsärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit ganz entfallen (ebenso LSG Berlin-Brandenburg vom 12.7.2023 - L 14 KR 273/22 - juris RdNr 26 ff).

Die Übermittlung hat seither durch die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen zu erfolgen und allein hierauf kommt es maßgeblich an. Nur dies entspricht der in den Materialien zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Konzeption. Danach ist mit der ab 1.1.2021 geltenden Fassung des § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V klargestellt, dass eine etwaige Verspätung bei der ab 1.1.2021 von den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten und Einrichtungen an die Krankenkassen zu übermittelnden Arbeitsunfähigkeitsdaten nach § 295 Abs 1 Satz 1 SGB V nicht zu Rechtsfolgen zulasten der Versicherten führt. Mit der Einführung eines einheitlichen und verbindlichen elektronischen Verfahrens zur Übermittlung der bisher mittels Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in Papierform an die Krankenkassen gemeldeten Arbeitsunfähigkeitsdaten werde die Obliegenheit zur Meldung der (fortbestehenden) Arbeitsunfähigkeit auf die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen übertragen. Soweit sich bei der elektronischen Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten Verzögerungen ergäben, lägen sie insoweit nicht mehr im Einflussbereich der Versicherten, sodass sie keine sich aus der verspäteten Übermittlung ergebenden Rechtsfolgen zu tragen hätten (BT-Drucks 19/6337 S 145 f).

Diese in den Materialien zum Ausdruck gekommene Konzeption hat im Normwortlaut hinreichend deutlichen Niederschlag gefunden. Dass nach § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V der Anspruch auf Krankengeld nicht ruht, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird, "wenn" die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten im elektronischen Verfahren nach § 295 Abs 1 Satz 10 SGB V "erfolgt", knüpft nicht an das tatsächliche Erfolgen dieser Übermittlung an, sondern an das Bestehen der ab 1.1.2021 geltenden Übermittlungspflicht. Nur ein Verständnis des "wenn ... erfolgt" im Sinne von "wenn ... zu erfolgen hat" stimmt mit dem systematischen Zusammenhang von § 49 Abs 1 Nr 5 und § 295 Abs 1 Satz 1 Nr 1 iVm Satz 10 SGB V sowie dem mit diesen Regelungen verfolgten Sinn und Zweck überein (zur Betonung der Übermittlungspflicht durch Änderung der amtlichen Überschrift des § 295 SGB V vgl auch BT-Drucks 19/6337 S 146).

Danach hat der Gesetzgeber zum Stichtag 1.1.2021 die Versicherten von ihrer Obliegenheit zur Meldung der Arbeitsunfähigkeit weitestgehend entlastet. Ein Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld kann seither nicht mehr dadurch eintreten, dass der Versicherte die im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung festgestellte Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht meldet.

c) Anderes gilt hier nicht deshalb, weil im streitigen Zeitraum die Telematikinfrastruktur noch nicht so ausgebaut war, dass alle an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen hierüber Arbeitsunfähigkeitsdaten unmittelbar elektronisch an die Krankenkasse übermitteln konnten. Dies ließ die Obliegenheit des Versicherten zur Meldung der Arbeitsunfähigkeit nicht wieder aufleben.

Vielmehr lässt sich den Materialien entnehmen, dass der Gesetzgeber des TSVG in 2019 zum einen im Blick hatte, dass es einer Vorbereitungszeit bedarf, und zum anderen, dass nicht alle Einrichtungen, die zur Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit berechtigt sind, ab 1.1.2021 an die Telematikinfrastruktur angeschlossen sein werden. Dies führte zum einen zur Inkrafttretensregelung in Art 17 Abs 5 TSVG: Zwar werde mit der Änderung des § 295 Abs 1 Satz 1 SGB V ein einheitliches und verbindliches elektronisches Verfahren zur Übermittlung von Arbeitsunfähigkeitsdaten durch die Ärzte an die Krankenkassen eingeführt und klargestellt, dass die Pflicht zur Übermittlung dieser Daten an die Krankenkassen den Ärzten und Einrichtungen obliege. Für die Einführung dieses Verfahrens benötigten die Beteiligten aber einen hinreichenden zeitlichen Vorlauf, weshalb diese Regelung erst zum 1.1.2021 in Kraft trete (BT-Drucks 19/6337 S 160). Zum anderen führte dies zur Ausnahmeregelung in § 295 Abs 1 Satz 10 SGB V für Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen: Da diese erst in weiteren Schritten an die Telematikinfrastruktur angebunden würden, gelte für sie nicht der gesetzlich geregelte Stichtag, sondern der Zeitpunkt, an dem sie sich an die Telematikinfrastruktur anbinden würden (BT-Drucks 19/6337 S 147).

d) Anderes folgt im hier streitigen Zeitraum auch nicht daraus, dass die Partner der Bundesmantelverträge - KBV und GKV-Spitzenverband - vereinbart hatten, dass die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten an die zuständige Krankenkasse (erst) ab dem 1.10.2021 ausschließlich digital erfolgt und bei Vorliegen der technischen Voraussetzungen sowohl für Vertragsärzte als auch für die gesetzlichen Krankenkassen elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bereits ab dem 1.1.2021 ausgestellt und versandt werden können (§ 4 Ziffer 4.1.1 Anlage 2b - Vordruck-Vereinbarung digitale Vordrucke - zum BMV-Ä vom 1.7.2020, geänderte Fassung vom 25.3.2021, in Kraft getreten am 1.4.2021, DÄ 2021, A 1076; zuvor bereits § 4 Ziffer 4.1.1 Anlage 2b - Vordruck-Vereinbarung digitale Vordrucke - zum BMV-Ä vom 1.7.2020, geänderte Fassung vom 25.11.2020, in Kraft getreten am 1.1.2021, DÄ 2021, A 64; vgl auch im Anschluss Übergangsvereinbarung der Bundesmantelvertragspartner zur Übermittlung von elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 23.8.2021, in Kraft getreten am 1.10.2021, DÄ 2021, A 1728, nach der noch bis 31.12.2021 übergangsweise keine Verpflichtung zur Übermittlung elektronischer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bestand, solange die technischen Voraussetzungen nicht zur Verfügung stehen, sowie Richtlinie der KBV nach § 75 Abs 7 Nr 1 SGB V zur Durchführung von Anlage 2 und 2b zum BMV-Ä vom 3.11.2021, in Kraft getreten am 1.1.2022, DÄ 2021, A 2186, mit der der Übergangszeitraum bis 30.6.2022 verlängert wurde).

Diese Vereinbarung nahm zwar Rücksicht auf den tatsächlichen Stand der technischen Umsetzung der Telematikinfrastruktur, widersprach aber dem für die Übermittlungspflicht gesetzlich geregelten und unverändert gebliebenen Stichtag 1.1.2021 (vgl dagegen zu den mehrfachen Änderungen der Stichtage in § 5 EFZG und § 109 SGB IV Knorr, NZA 2022, 1652, 1654). Für diese Abweichung vom Gesetz konnte sich die Vereinbarung nicht auf eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage stützen. § 295 Abs 3 Satz 1 Nr 3 und 5 SGB V ermächtigten lediglich dazu, "das Nähere" über die Erfüllung der Pflichten der Vertragsärzte nach § 295 Abs 1 SGB V und die Einzelheiten der Datenübermittlung zu vereinbaren. Mit der Vereinbarung konnte durch die Bundesmantelvertragspartner nicht die gesetzliche Übermittlungspflicht ab 1.1.2021 selbst ausgesetzt werden und jedenfalls nicht eine gesetzlich seither nicht mehr vorgesehene Obliegenheit der Versicherten zur Meldung der vertragsärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit begründet werden, deren Nichteinhaltung zum Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld zulasten der Versicherten führt.

e) Nach allem kommt es hier nicht darauf an, ob dem Kläger die gesetzliche Übermittlungspflicht seines Vertragsarztes bekannt war oder ob er von diesem darauf hingewiesen wurde, dass ihr nicht nachgekommen wird, ob ihm vom Vertragsarzt Ausdrucke der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zur Vorlage bei der Beklagten mitgegeben worden waren und auch nicht darauf, ob die unterbliebene Übermittlung der Arbeitsunfähigkeit durch den Vertragsarzt dem Verantwortungsbereich der Beklagten zuzurechnen ist. Durch den zum 1.1.2021 erfolgten Wegfall der Obliegenheit des Versicherten zur Meldung einer vertragsärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit sind entsprechende Einzelfallumstände rechtlich nicht mehr von Belang.

f) Soweit die Beklagte mit ihrer Revisionsbegründung vorbringt, dass damit der Schutzzweck der Meldung einer Arbeitsunfähigkeit an die Krankenkasse - Ermöglichung der zeitnahen Nachprüfung der Anspruchsvoraussetzungen (vgl näher BSG vom 8.8.2019 - B 3 KR 6/18 R - BSGE 129, 20 = SozR 4-2500 § 49 Nr 9, RdNr 18) - ausgehebelt würde, ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber an diesem Schutzzweck festgehalten, zu dessen Realisierung aber ab 1.1.2021 auf die Übermittlungspflicht der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen und nicht mehr auf eine Obliegenheit der Versicherten gesetzt hat. Diesen bleibt es zwar möglich, ihre vertragsärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse zu melden, doch ist diese Meldung nicht mehr ihre Obliegenheit.

Dies wird deutlich zumal durch die Änderung des § 73 Abs 2 Satz 1 Nr 9 SGB V durch das TSVG zum 1.1.2021, nach dessen angefügtem Halbsatz 2 im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung die Bescheinigung über eine Arbeitsunfähigkeit auch auszustellen ist, wenn die Arbeitsunfähigkeitsdaten nach § 295 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V übermittelt werden. Nach den Materialien werde mit dieser Änderung sichergestellt, dass Versicherte auch nach Einführung des einheitlichen und verbindlichen elektronischen Verfahrens zur Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten an die Krankenkassen eine Ausfertigung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erhielten. Damit werde auch dem Informationsbedürfnis der Versicherten entsprochen, die an die Krankenkasse übermittelten Arbeitsunfähigkeitsdaten und insbesondere den festgestellten Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit auch zu einem späteren Zeitpunkt einfach nachvollziehen zu können. Zugleich bleibe sichergestellt, dass Versicherte sich den Zeitpunkt vergegenwärtigen könnten, zu dem sie sich erneut bei ihrer behandelnden Ärztin oder ihrem behandelnden Arzt vorstellen müssten, damit die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig vor Fristablauf ärztlich festgestellt werden könne. Insoweit werde mit der Änderung auch gewährleistet, dass für die Versicherten weiterhin die Möglichkeit bestehe, den Nachweis über die Arbeitsunfähigkeit an ihre Krankenkasse zu übermitteln (BT-Drucks 19/8351 S 217).

Bei einem Scheitern der Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten im elektronischen Verfahren bleibt danach ab 1.1.2021 der Vertragsarzt zur Meldung der Arbeitsunfähigkeit an die Krankenkasse verpflichtet. Dem Versicherten ist diese möglich, obliegt ihm aber nicht. Eine Obliegenheit des Versicherten nach § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V besteht seither nur noch für die Meldung von Arbeitsunfähigkeitsfeststellungen durch nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte und Einrichtungen (zB Privatärzte und Rehabilitationseinrichtungen), soweit nicht auch für diese eine Übermittlungspflicht begründet ist (zB Krankenhäuser nach § 39 Abs 1a Satz 8 SGB V).